Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
auf meiner lag, sofort erkannt. Sie gehörte Starreporterin Carol Shapley, die mal wieder einer brandheißen Story auf der Spur war.
» Bin gerade fertig«, sagte ich und sammelte die CDs und meine Ausdrucke zusammen.
» Oh, kein Problem. Ich hab’s nicht eilig. Und die CDs können Sie mir gleich dalassen.« Auf ihrem Gesicht erschien ein vollkommen humorfreies Lächeln. » Sieht ja ganz so aus, als wären wir am gleichen Thema interessiert.«
» Woher soll ich das wissen?«, erwiderte ich unbeholfen und drückte die Silberscheiben an meine Brust. » Tut mir leid, aber die Bibliothekarin hat mich gebeten, die CDs persönlich bei ihr abzugeben. Die haben hier ein spezielles System.«
Carol warf einen kurzen Blick zum Tresen. » Selina? Sie hat nichts dagegen, wenn Sie mir die Dinger gleich in die Hand geben. Sie weiß, dass ich gut damit umgehe.«
Ich schüttelte den Kopf. » Tut mir leid, aber ich finde das nicht in Ordnung.« Von Carol Shapley ließ ich mich doch nicht in die Enge treiben. Ich schaute ihr so unbewegt wie möglich direkt ins Gesicht und bekam einen versteinerten Blick zurück.
Als sie sah, dass ich nicht bereit war zurückzuweichen, produzierte sie ein kleines Gähnen. » Na schön. Dann bringen Sie sie halt zurück. Aber Selina wird ein Weilchen brauchen, um sie wieder einzuordnen. Vielleicht können Sie mir ja in der Zwischenzeit behilflich sein.«
» Das glaube ich ehrlich gesagt nicht.« Ich nahm meine Tasche, schwang sie mir über die schmerzfreie Schulter und humpelte in Richtung Bibliothekstresen. Während ich durch die Ausdrucke blätterte, um auszurechnen, wie viel ich zu bezahlen hatte, merkte ich, dass meine Hände zitterten.
» Fünf Seiten?«, fragte Selina bestens gelaunt. » Das macht exakt 25 Pence. Viel haben Sie ja nicht ausgedruckt. Dabei waren Sie so lange vertieft, dass ich schon dachte, Sie hätten tonnenweise Papier bedruckt.«
» Sie ist sehr wählerisch«, warf Carol hinter mir ein, bevor ich etwas sagen konnte. » Sie wusste ganz genau, wonach sie suchte.«
» Das ist ja super«, flötete Selina strahlend und platt wie immer. Ich krümmte mich innerlich.
Sie brauchte eine halbe Ewigkeit, um mir auf mein 50-Pence-Stück herauszugeben. Anschließend musste ich noch beteuern, dass ich ganz sicher keinen stabilen Umschlag brauchte, um meine Ausdrucke zu schützen.
» Haben Sie denn auch alles gefunden, wonach Sie gesucht haben?« Dabei zwinkerte sie mich treuherzig an.
Ja, hatte ich, versicherte ich ihr und bedankte mich für ihre Hilfe, steckte die zusammengefalteten Ausdrucke in meine Handtasche und bewegte mich so schnell es ging in Richtung Tür. Doch Carol war mir auf den Fersen.
» Eigentlich will ich mich schon seit einigen Tagen mit Ihnen unterhalten, und ich nehme an, Sie wissen, worum es geht, Sarah«, flüsterte sie und war noch vor mir an der Tür. » Beim letzten Mal haben Sie ja ein bisschen geschwindelt, nicht wahr?«
» Ich weiß nicht, was Sie meinen«, stellte ich mich dumm und verfluchte im Stillen mein fehlendes Auto. Mit den Augen suchte ich die Straße in alle Richtungen nach einem Fluchtweg ab, sah aber keine Möglichkeit zu entkommen.
» Ein Vöglein hat mir gezwitschert, dass Sie diejenige waren, die Jennys Leiche gefunden hat«, gurrte Carol mir ins Ohr. » Das klang beim letzten Mal ein wenig anders, wissen Sie noch?«
» Darüber möchte ich eigentlich nicht sprechen.« Meine Gedanken überschlugen sich. Wer zum Teufel konnte ihr gesagt haben, dass ich Jenny gefunden hatte? Sicher nicht die Shepherds, auch nicht Vickers, und ganz bestimmt nicht Blake– aber möglicherweise Valerie Wade. Sie war bestimmt anfällig für Carols Schmeicheleien. Aber im Grunde spielte das auch gar keine Rolle. Fakt war, dass Carol es wusste.
Aber wenn sie das wusste, war es durchaus wahrscheinlich, dass sie noch eine ganze Menge mehr wusste, beispielsweise was die Ermittlungen betraf. Ich sollte also nicht länger darüber nachdenken, wie ich ihr entfliehen konnte, sondern wie ich ihr am besten entlockte, was sie wusste. Wenn ich auf dem Laufenden bleiben wollte, brauchte ich eine neue Informationsquelle. Blake hatte mir ziemlich unmissverständlich klargemacht, dass ich mich aus der Sache raushalten sollte, und würde mir demzufolge auch keine Details verraten. Davon abgesehen hatten er und ich noch ganz andere Dinge, über die wir nachdenken sollten. Ganz ohne Vorwarnung brach eine Flut nicht hundertprozentig willkommener Bilder über mich herein:
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