Die Vernetzung der Welt: Ein Blick in unsere Zukunft (German Edition)
über Glasfaser- und Kupferkabel verschicken und empfangen. Was wir am Bildschirm sehen und produzieren, sind letztlich nichts als Zahlenkolonnen, die zusammengepackt, über Router in alle Welt verschickt und am anderen Ende wieder zusammengesetzt werden.
Das Internet wird oft als «gesetzloser Raum» bezeichnet, der von seiner Anlage her unregierbar sei. Sein dezentralisierter Aufbau und die dauernden Veränderungen der Struktur vereitelten jeden Versuch einer staatlichen Kontrolle. In der Tat haben die Staaten sehr große Kontrolle über die
mechanische
Seite des Internets in ihren jeweiligen Hoheitsgebieten. Mit ihrer Macht über die physische Infrastruktur – die Sendemasten, Router oder Verteiler – können sie den Zugang der Daten zum, ihre Wege durch und ihren Ausgang aus dem Internet kontrollieren. Sie können Inhalte einschränken, sie können Nutzern die Hardware vorschreiben, die sie benutzen dürfen, und sie können sogar eigene Versionen des Internets schaffen. Staaten und Bürger bekommen durch die Vernetzung zwar ebenfalls Macht, doch nicht in gleicher Weise. Die Macht des Einzelnen besteht aus den Inhalten, die der Staaten dagegen aus ihrer Position als Türhüter.
Bislang haben wir uns vor allem mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn Milliarden von Menschen online gehen. Wie werden sie das Internet nutzen? Welche Geräte werden sie verwenden? Wie verändert sich ihr Leben? Aber wir haben uns noch nicht angesehen, wie das Internet selbst aussehen wird, und wie die Staaten es in ihrem physischen und virtuellen Umgang mit anderen Staaten und ihren Bürgern einsetzen werden. Das wird immer wichtiger, sobald sich Menschen mit verschiedenen Schriftsystemen, Interessen und Werten vernetzen und ihre jeweiligen Regierungen ihre Interessen, Ressentiments und Ressourcen in die Waagschale werfen. In zehn Jahren wird die interessanteste Frage nicht mehr sein, ob eine Gesellschaft das Internet verwendet, sondern welche Version.
Wenn ein immer größerer Teil der Bevölkerung eines Landes online ist, werden Staaten versuchen, die Kontrolle zu behalten, und zwar national und international. Einige Länder werden gestärkt aus dem Übergang ins virtuelle Zeitalter hervorgehen. Sie werden selbstbewusster auftreten und über mehr Einfluss verfügen, weil sie starke Bündnisse eingehen und die digitale Macht geschickt nutzen. Andere werden Schwierigkeiten haben, auch nur mit den technologischen Veränderungen Schritt zu halten und sich innen- und außenpolitisch auf sie einzustellen. Freundschaften, Bündnisse und Feindschaften zwischen Staaten werden sich auf die virtuelle Welt ausweiten und der Diplomatie eine neue faszinierende Dimension hinzufügen. Man könnte das Internet als Verwirklichung der klassischen Theorie von internationalen Beziehungen in einer anarchischen, führerlosen Welt sehen. Auf den folgenden Seiten stellen wir dar, wie die Nationen unserer Ansicht nach miteinander und mit ihren Bürgern umgehen werden.
Virtuelle Staaten
In der virtuellen Welt wird die physische Größe immer unwichtiger. Die Technologie stärkt alle und verleiht auch kleinen Akteuren, die physisch nicht einmal existieren müssen, große Schlagkraft. Wir sind nämlich überzeugt, dass in Zukunft auch virtuelle Staaten entstehen und die virtuelle Landschaft der existierenden Staaten erschüttern werden.
Heute gibt es in aller Welt Hunderte gewaltbereite oder pazifistische Separatistenbewegungen, und daran wird sich in Zukunft kaum etwas ändern. Viele dieser Bewegungen kämpfen gegen ethnische oder religiöse Diskriminierung, und wir werden im Folgenden darauf eingehen, welche Formen die Diskriminierung im Internet annehmen wird. In der physischen Welt gelten für verfolgte Gruppen häufig andere Gesetze, ihre Angehörigen können ohne Gerichtsverfahren festgehalten oder ermordet werden, außerdem werden sie ihrer bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechte beraubt. Diese Praktiken finden ihren Weg auch ins Internet, denn die Technologie hilft den Regimes, ihre widerspenstigen Minderheiten zu überwachen, zu schikanieren und zu verfolgen.
Staatenlose Gruppen, die in der virtuellen und physischen Welt verfolgt werden, könnten ihren Staat online gründen. Dieser hätte zwar nicht dieselbe Legitimität und Funktion wie ein physischer Staat, doch die Ausrufung der virtuellen Souveränität könnte im besten Fall ein erster Schritt in Richtung eines eigenen Staates sein und im schlimmsten Fall eine Eskalation des
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