Die Verraeterin
Er schien innerhalb von Sekunden Millionen von Kilometern zurückzulegen, so rasend schnell dachte sie nach.
Sie konnte den Mann dazu bringen zu vergessen.
Sie konnte ihn zum Vergessen bringen, ihn bewusstlos machen und dann dasselbe mit dem Piloten tun – natürlich nachdem sie gelandet waren. Danach würde sie im riesigen Labyrinth von Roms sonnendurchfluteten Straßen verschwinden und nie mehr gesehen werden. Es gab nur sie drei. Es würde kein Problem darstellen, denn Leander hatte keinen anderen Wachmann mitgeschickt. Sie konnte nach Paris oder Prag oder sogar nach Island fahren, wenn sie das wollte. Sie konnte sich alleine in der Welt umsehen und Sommerley, seine Gesetze und die Ikati für immer hinter sich lassen.
Sie konnte frei sein.
Ehe Xander seine Meinung wieder änderte, ergriff sie seine ausgestreckte Hand.
Sie fühlte sich warm und wie elektrisch geladen an. Ihr eigener Arm begann zu beben. »Vergiss mich«, flüsterte sie entschlossen und starrte in die Tiefen seiner schwarz umrandeten, bernsteinfarbenen Augen. »Vergiss mich, und schlaf.«
Unangenehmerweise geschah nichts.
Das ist noch nie passiert. Noch nie in meinem Leben. Ich habe diese Gabe seit meiner frühesten Kindheit, und niemand kann sich ihr entziehen. Niemand kann ihr widerstehen. Ich habe Jahre darauf verwendet, nichts zu berühren, niemand zu umarmen und keine zufälligen Gedanken zu haben, die jemanden aus meinem Volk verletzen könnten …
» Meu caro «, murmelte der Killer. Er blickte ihr in die Augen, wobei sich noch immer dieses schelmische Lächeln auf seinen Lippen zeigte und er sie weiterhin festhielt. »Meine Liebe, wie könnte ich jemals eine Frau wie Sie vergessen?«
Seine Äußerung traf sie wie ein Geschoss mitten in den Magen – schnell, hart und genauso schmerzhaft. Immun. Er war immun. Und spielte mit ihr.
»Hurensohn«, fauchte sie und riss ihre Hand weg.
Daraufhin ließ er ein dunkles, gefährliches Lachen vernehmen. »Ich bin der Sohn eines Alpha«, verbesserte er sie und fasste hinter sich, um etwas herauszuziehen, was an seinem Gürtel befestigt war. Die Bewegung war so rasch, dass Morgan nur das Aufblitzen von Silber sah und das klirrende Geräusch hörte, wenn Metall auf Metall traf.
Schon im nächsten Moment befanden sich seine Hände um ihren Hals.
Sie schrie und versuchte, ihn von sich zu stoßen, konnte sich aber wegen des Sicherheitsgurtes nicht von ihrem Sitz erheben. Ihre Füße suchten nach einem Widerstand auf dem glatten, weichen Teppich am Boden. Auf einmal war Xander auf ihr. Sein Bein hatte er über die ihren geschwungen, seine Arme waren um ihre Schultern, und seine Finger pressten sich um ihren Hals, sodass sie kaum noch Luft bekam. Er schien nur aus Muskeln, Hitze und Aggression zu bestehen. Sie schlug blindlings um sich und traf seinen Kiefer, ehe sie eine Handvoll seiner schimmernd schwarzen Haare erwischte und so heftig wie möglich daran riss. Er fluchte und ließ sie dann los. Atemlos und mit einem wilden, zornigen Blick stand er einige Schritte von ihr entfernt da und starrte sie an.
Sie öffnete den Sicherheitsgurt und sprang ebenfalls auf – geschmeidig und blitzschnell. Mit gespreizten Beinen, angespannten Muskeln und die Hände zu Fäusten geballt forderte sie ihn mitten im Flugzeug auf, es mit ihr aufzunehmen. Zitternd und wütend wurde ihr schlagartig klar, dass ihr Hals an der Stelle, wo er seine Hände um sie gelegt hatte, schmerzhaft pochte.
Er hatte sie verletzt.
Das Bedürfnis, sich zu verwandeln, kam wie ein heftiger Orkan über sie. Jegliche Vernunft, Vorsicht und Ruhe waren verschwunden und von einem instinktiven, überwältigenden Bedürfnis abgelöst worden, das Tier in sich freizulassen und sich mit einem lauten Brüllen auf ihn zu stürzen, um ihm die Augen auszukratzen, die Arme abzureißen und sein Herz zu fressen.
»Du bist so gut wie …«, knurrte sie und trat einen Schritt näher.
Ein heißer Blitz erfüllte sie und ein Geruch wie von Schießpulver, dann Rauch und Honigduft sowie der schnelle, schreckliche Schmerz, als sich die Fasern, Muskeln und Knochen ihres Körpers in ihr anderes Selbst, ihr wahres Selbst zu verwandeln begannen. Sie atmete tief ein und genoss den Schmerz, genoss die Vorstellung seines Blutes auf ihrer Zunge.
Und dann … Nichts.
Sie sackte in sich zusammen. Der Schmerz in ihrem Hals nahm zu, gefolgt von einem Druck, einem seltsamen elektrischen Surren, das durch ihr Rückgrat ging und sie kurz vor der Verwandlung hatte
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