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Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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ins Schloss.
    Das Hotel de Russie war nicht das berühmteste Hotel in Rom – diese Ehre kam dem Hassler zu –, doch es war das beste. Er war hier schon häufig abgestiegen und genoss die grünen, in Terrassen angelegten Gärten, die zentrale Lage zwischen der Spanischen Treppe und der Piazza del Popolo sowie die typisch römische Atmosphäre elegant lässiger Vornehmheit. Es war makellos und wunderschön, dekoriert in klassisch italienischem Stil: seidenbespannte Wände, Ölgemälde in vergoldeten Rahmen, große Flächen aus cremefarbenem Marmor, funkelnde Spiegel und die Art von unglaublich teuren, dekadenten Bettbezügen, die man nur in Fünf-Sterne-Hotels oder den besten Bordellen fand.
    Doch selbst die besten Bordelle boten keine Auswahl an Kissen an. In diesem Hotel hatte er zum ersten Mal herausgefunden, dass er in Kopfkissen Entenfedern gegenüber Gänsefedern vorzog.
    Xander stellte die kleine Tasche mit seinen Kleidern und den verschlossenen Aktenkoffer, in dem sich seine Messer befanden – die kleine Reisesammlung –, auf die große Glasplatte des Schreibtischs im Hauptzimmer der Suite und schritt dann über den vanillefarbenen Teppichboden zu den Fenstern. Er schob mit einer Hand den elfenbeinfarbenen Seidenvorhang zurück und blickte auf den Platz, der sich fünf Stockwerke unter ihnen befand. In der Mitte der Piazza stand der ägyptische Obelisk des Pharao Ramses, der von Caesar Augustus aus Heliopolis – Stadt der Sonne und die älteste Siedlung des alten Ägyptens – nach Rom gebracht worden war. In den Stein, der über dreißig Meter in die Höhe ragte, waren Hieroglyphen eingemeißelt – ein deutlicher Hinweis auf die blutige Geschichte, die diese beiden Imperien miteinander verband.
    Die Römer hatten auf dem Platz vor dem Hotel jahrhundertelang öffentliche Hinrichtungen abgehalten, und die letzte hatte 1826 stattgefunden. Nicht zum ersten Mal dachte Xander, dass die Ikati im Grunde gar nicht so anders als die Menschen waren, die sie so verachteten. Sie mochten vielleicht begabter sein, aber sie waren genauso grausam.
    Vielleicht sogar noch grausamer.
    »Ich werde auf keinen Fall mit Ihnen in einem Bett schlafen«, fauchte Morgan hinter ihm.
    Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, stieg bei ihren Worten ein Bild in seiner Fantasie auf. Er sah sie beide nackt und eng umschlugen in den Laken dieses großen, dekadenten Betts liegen. Morgan drückte in seiner Vorstellung den Rücken durch und stöhnte unter ihm liegend seinen Namen. Ihm blieb fast das Herz stehen.
    »Seien Sie nicht albern«, sagte Xander durch zusammengebissene Zähne und verdrängte dieses eindringliche Bild. »Und hören Sie auf, sich derart überheblich zu geben. Es geht hier nur um praktische Gründe. Ich habe nicht vor, Sie aus den Augen zu lassen.« Er wandte sich vom Fenster ab und sah Morgan mit einem derart drohenden Blick an, dass sie totenbleich wurde.
    Aber … Mein Gott. Selbst mit ihren bleichen Wangen, den von der Reise zerknitterten Kleidern und der Feindseligkeit, die jede Faser ihres Körpers ausstrahlte, war ihre Schönheit atemberaubend und nicht von dieser Welt. Sie erinnerte ihn an ein Gemälde, das Caravaggio von einem Engel gemalt hatte. Ihre Schönheit hatte jeden Mann im Flughafen und Hotel innehalten und sie anstarren lassen, als sie an ihnen vorbeigegangen war.
    Es war eine zeitlose Schönheit. Eine gefährliche Schönheit.
    Selbst jetzt, als er sie so finster, ja hasserfüllt anstarrte, wurde er von der heißen Leidenschaft in seinen Lenden erfasst, die das Bild lasziver, gemeinsamer Spiele auf dem Bett in ihm ausgelöst hatte. Es war dieselbe hitzige Leidenschaft, die er auch gespürt hatte, als er sie das erste Mal in Sommerley gesehen hatte. Groß, geschmeidig und schlank wie ein junger Baum hatte sie so vielsagend um sich geblickt wie ein Stummfilmstar. Sie hatte den Raum betreten, und alles andere schien auf einmal bedeutungslos. Dann war sie gestürzt, und er hatte rein instinktiv gehandelt, um sie festzuhalten, und dabei den Duft ihrer warmen Haut, ihrer dunklen, exotischen Weiblichkeit in sich aufgenommen – ein Parfüm, wie er es noch nie zuvor gerochen hatte: zart, feminin und zugleich höchst provokant.
    Sie ist eine Verräterin , erinnerte er sich. Eine Verräterin, eine Lügnerin und ein Auftrag.
    »Also gut«, sagte sie, noch immer starr und wütend zugleich. »Ich hoffe, dass Ihnen der Boden zusagt.«
    Sie starrten sich schweigend und feindselig an, bis an die Tür geklopft wurde.

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