Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
Vom Netzwerk:
ein erdverbundenes Wesen, dazu geboren, durch hohe Gräser zu schleichen, auf duftende Bäume zu klettern und schläfrig in der Sonne zu liegen, während ihre Zunge heraushing und ihr Fell immer heißer wurde. Fliegen war für niedere Lebewesen, für Beute: für Vögel.
    Ein weiterer Ruck, der diesmal so heftig war, dass ihre Reisetasche aus dem Fach über ihren Köpfen purzelte und zu Boden fiel. Das Flugzeug fiel in ein Luftloch, und Morgans Magen verkrampfte sich. Sie klammerte sich an die Armlehnen und schloss die Augen, während sie schluckte und versuchte, sich nicht zu übergeben.
    Als sie die Augen wieder öffnete, saß der Killer direkt neben ihr und starrte ihr ins Gesicht.
    »Was …«, stammelte sie überrascht. Doch noch ehe sie mehr sagen konnte, streckte er die Hand aus und nahm sie am Handgelenk. Er presste seinen Daumen und seinen Zeigefinger auf einen speziellen Punkt auf ihrer Haut – nicht zu stark und nicht zu schwach. Das Gefühl, sich übergeben zu müssen, verschwand schlagartig.
    »Oh«, sagte sie. Und dann: »Wie?« Sie wusste nicht, was sie sonst fragen sollte.
    »Das innere Tor.«
    Seine Stimme war tief und sanft, und sie konnte seinen Akzent nicht eindeutig zuordnen. Seine plötzliche, unerwartete Nähe, die eine große Wärme ausstrahlte, im Gegensatz zu seinen kalten Tigeraugen, machte Morgan auf einmal sprachlos und verursachte ein eigenartiges Schwindelgefühl. Die Turbulenzen, dachte sie. Die Turbulenzen machen mich so schwindlig. Sie gab einen leisen, fragenden Ton von sich, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
    »Es ist ein Akupressur-Punkt«, fügte er erklärend hinzu. Er hatte noch immer nicht geblinzelt, und sie fragte sich, ob das auf ein jahrelanges Starren durch Zielrohre zurückzuführen war. Ihr Handgelenk wurde noch immer von seiner großen, warmen Hand umfasst.
    »Sie sind ganz bleich«, sagte er, als sie nicht antwortete, und jetzt fragte sie sich, ob er jemals längere Sätze als solche aus zwei oder vier Wörtern bestehend sprach. Vielleicht war er nicht sonderlich intelligent.
    »Es geht mir gut«, fauchte sie und riss sich von ihm los.
    Was zum Teufel soll das , hätte sie ihn am liebsten angeschrien. Du willst verhindern, dass ich mich übergebe, hast aber nichts dagegen, eine Pistole an meinen Kopf zu halten und mir das Gehirn rauszupusten.
    Sie vermutete, dass es eine Pistole sein würde. Er war so ein Typ, der viele Pistolen besitzen musste.
    »Wir werden bald landen«, erklärte er, und sie konnte nicht anders, als mitzuzählen.
    Vier. Vier Wörter. Auf einmal hatte sie das dringende Bedürfnis, laut und schallend loszulachen.
    Wenn es ihr in zwei Wochen nicht gelungen war, ihre unmögliche Aufgabe zu lösen, das noch nie zuvor ausgemachte Hauptquartier ihres hinterhältigen Erzfeindes in einer Stadt von fast drei Millionen Einwohnern und einer Größe von gut fünfzehnhundert Quadratkilometern zu finden, würde sie von einem schönen Idioten umgebracht werden. Sie legte den Kopf auf den Sitz zurück und seufzte. Ihre Mutter drehte sich bestimmt gerade im Grabe um.
    »Sie sollten mich besser nicht berühren.« Sie starrte an die gewölbte Decke, in der sich mehrere Reihen warm schimmernder Lichter befanden. »Oder hat man Sie nicht gewarnt?«
    »Einflüsterung funktioniert bei mir nicht.«
    Morgan wandte sich ihm zu. Er musste wirklich dumm sein. Oder vielleicht auch nur auf dumme Weise frech. Sie widerstand dem Bedürfnis, die Hand auszustrecken und sein schönes Gesicht zu berühren, während sie flüsterte: Quake wie eine Ente .
    »Es funktioniert bei jedem«, entgegnete sie trocken, wobei sie das letzte Wort besonders betonte. »Ganz egal, wie hoch Ihr Intelligenzquotient ist.«
    Er zog eine seiner Augenbrauen hoch, tat sonst aber nichts. Anscheinend wartete er darauf, dass sie fortfahren würde.
    »Ich kann Sie dazu bringen, alles zu tun, was ich will«, erklärte sie. Sie bemühte sich, so klar wie möglich zu sprechen, damit der Gorilla neben ihr auch verstand, was sie sagte.
    »Das ist meine Gabe. Ich muss Sie nur berühren, Ihnen etwas einflüstern, was mir gerade einfällt, und dann werden Sie es tun.«
    Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das sowohl herausfordernd als auch schalkhaft wirkte. Und ganz und gar nicht dumm.
    »Dann würde ich vorschlagen, Sie versuchen es«, antwortete er. Er hielt ihr einladend seine Hand hin. »Berühren Sie mich.«
    Ihr Herz blieb vor Schreck fast stehen. Dann begann ihr Verstand auf Hochtouren zu arbeiten.

Weitere Kostenlose Bücher