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Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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bebende, helle Kraft in ihm zu einem brennenden Punkt zusammenlaufen, um seine Gestalt zu verwandeln. Wie immer hatte er das Gefühl, als ob der Wunsch, sich zu verwandeln, direkt unter seiner Haut nur darauf gewartet hatte, zutage zu treten.
    Vollkommen lautlos verwandelte er sich in Nebel.
    Es war jedes Mal dasselbe – so mühelos wie Atmen, ausgelöst allein durch Willen und Konzentration. Er hatte das Gefühl, als ob ihm die Augen geöffnet worden wären und er alles aus allen Blickwinkeln in leuchtenden Farben wahrnehmen konnte. Es war ihm möglich, zugleich oben und unten, hinten und vorne zu sehen. In dieser Gestalt gab es keine Hindernisse, die sein Blick hätte überwinden müssen, obwohl er gar keine Augen besaß, um zu sehen – und natürlich auch keinen Kopf. Er existierte als Teil der Luft, schwerelos und durchsichtig – allein angetrieben von seinen Gedanken. Hoch, runter, schnell, langsam.
    Das einzige Problem stellte seine Kleidung dar. Alles, was er trug oder auch, was er in den Händen hielt, fiel zu Boden, wenn sich sein Körper in Nebel auflöste. Er war nie in der Lage gewesen, als Nebel irgendetwas mit sich zu nehmen, aber er besaß eine andere einzigartige und eindrucksvolle Begabung, um dieses Problem zu lösen.
    Er würde seine Kleidung und seine Messer später holen. Jetzt ging es erst einmal darum, die Ausreißerin einzufangen.
    Als lang gezogene, hellgraue Nebelschwade stieg er in die Luft und wurde von einem warmen Aufwind, der von der Straße unter ihm kam, mitgetragen. Er benutzte ihn, um größere Höhen zu erreichen, und ließ so lange nicht von ihm ab, bis er weit über dem Kolosseum schwebte. Wenn jemand in diesem Moment nach oben geblickt hätte, wäre ihm nur eine kleine Wolke aufgefallen, die verblüffend schnell dahinflog. Unter Xander lag Rom in seiner ganzen glänzenden Pracht. Überall schimmerte es golden und kupferfarben von den Dächern. Die Straßen wirkten wie pulsierende Adern voll des Verkehrs, wie sie sich in alle Richtungen ausbreiteten. Über ihm war das nächtliche Himmelszelt, dunkelblau und übersäht mit Sternen.
    Dort unten stand Morgan wie erstarrt auf dem Bürgersteig, während die anderen Fußgänger sie wie ein Hindernis umrundeten und nicht einmal schimpften.
    Selbst aus dieser Entfernung sah er den ungläubigen Schock auf ihrem Gesicht. Sie war so blass geworden, dass sie beinahe so weiß wie ihre Bluse schien. Sie musste gespürt haben, wie er sich verwandelt hatte. Das war offensichtlich. Wenn er einen Mund gehabt hätte, hätte er in diesem Moment laut aufgelacht.
    Ja, ich kann mich in mehr als nur einen Panther verwandeln, meu caro. Dafür habe ich meiner Mutter zu danken . Er schwebte durch die Atmosphäre, wobei er noch weiter nach oben stieg und leicht wie die Luft dahinflog. Er war sich absolut sicher, dass Morgan ihn in diesem Moment verfluchte, während sie verzweifelt überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Im Grunde war es egal, sie konnte rennen, sie konnte sich verstecken, aber sie würde ihm nicht entkommen.
    Niemals.
    Er blieb weit über ihr, als sie sich umdrehte und durch die Massen der plaudernden Touristen, spazieren gehenden Liebespaare und älteren Frauen mit Kopftüchern und vernünftigen Schuhen drängte, die gerade aus der Abendmesse kamen.
    Xander war neugierig und gelassen. Er war sich so sicher, Morgan nicht zu verlieren, dass er versuchte, ihr in einem gewissen Abstand zu folgen, und sich immer wieder hinter Glockentürmen, Kaminen und im Laub der Bäume versteckte. Sie sah ab und zu in den Himmel hoch oder warf unruhige Blicke über ihre Schulter, während sie dahinlief, ohne innezuhalten oder auch nur langsamer zu werden.
    Momentan bewegten sie sich in nördlicher Richtung. Morgan unter ihm rannte durch hell beleuchtete Straßen, schoss in Kirchen, Trattorien und Cafés, wobei sie zum Vordereingang hineinging und hinten oder an der Seite wieder herauskam. Offensichtlich versuchte sie noch immer, ihn abzuhängen. Es war ziemlich lustig anzusehen, und Xander bemerkte, dass er insgeheim hoffte, das Ganze würde noch eine Weile so weitergehen.
    Es machte ihm – Spaß.
    Schließlich rannte sie eine Treppe zur U-Bahn hinunter, und nun begann er doch, sich Sorgen zu machen.
    Er schoss die Stufen hinter ihr hinab, wobei mehrere gurrende Tauben erschreckt aufflogen, die es sich auf dem Geländer bequem gemacht hatten. Problemlos folgte er ihrem dunkelhaarigen Kopf, der sich schimmernd wie Sonnenschein auf Wasser von den

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