Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
Vom Netzwerk:
lauschte.
    Nach dem zweiten Klingeln wurde abgehoben, doch niemand antwortete – genau, wie er es ihr erklärt hatte. Am anderen Ende der Leitung wurde geschwiegen. Sie hörte nicht einmal ein Atmen.
    Ihre Stimme klang leise und zitternd. »Xander hat mich gebeten, diese Nummer anzurufen. Er ist verletzt, und er hat mir gesagt, dass ich anrufen soll …«
    »Wir haben Ihre Koordinaten«, antwortete eine männliche ernste Stimme brüsk, aber völlig ungerührt. »Wie lautet das Passwort?«
    »Esperanza«, flüsterte sie.
    Wieder Schweigen. Dann: »Bleiben Sie, wo Sie sind.«
    »Bitte beeilen Sie sich …«
    Die Verbindung brach ab.
    Sie legte das Handy auf den Schreibtisch und kehrte zu Xander zurück. Er sah so groß und männlich auf dem zierlichen Sofa aus, so mächtig und zur gleichen Zeit so seltsam friedlich, wie er dort mit geschlossenen Augen und schwer atmend lag. Wie ein dösender Bulle.
    Ein schöner, halbnackter, blutiger, dösender Bulle. Mit einer Brust voller Narben.
    Sie nahm das Hemd, das sie ihm zuvor ausgezogen hatte, und drückte es sanft auf die blutende Wunde an seinem Bauch. Er zuckte stöhnend zusammen.
    »Psst«, murmelte sie. »Ich muss den Druck darauf halten. Das hilft, die Blutung zu stoppen. Es tut mir leid. Es tut mir leid, wenn es wehtut. Aber ich werde hier bei dir bleiben. Ich werde dich nicht verlassen.«
    Er murmelte etwas, das wie das Passwort klang, das sie zuvor ins Handy geflüstert hatte, und verlor dann wieder das Bewusstsein.

18
    »Sie kommen nicht wieder.«
    Es war Celian, der schließlich das laut aussprach, was alle bereits seit einer halben Stunde dachten. Seine Stimme klang eiskalt. Mit seinen zwei Meter zehn und hundertzwanzig Kilo solider Muskeln war er in etwa so niedlich wie ein Haifisch. Wie alle trug auch er nun Klamotten, die genau für solche Gelegenheiten an vielen Orten in Rom versteckt waren: wenn sie als Nebel verschwanden und ihre Lederkleidung und Waffen zurücklassen mussten. Diese Klamotten hatten sie aus dem Turm einer Kirche aus dem vierten Jahrhundert geholt.
    »Warten wir noch fünf Minuten«, meinte Constantine und musterte Celians undurchdringliches Gesicht. Sie alle wussten, was es bedeutete, wenn sie ihre Aufgaben nicht erfüllten. Die heftigste Strafe würde denjenigen ereilen, der das Kommando gehabt hatte. Wenn sie nun mit keiner ihrer beiden Zielpersonen zurückkehrten, würden die Konsequenzen furchtbar sein.
    Lix knurrte zustimmend, während Demetrius – bei den Bellatorum einfach als D bekannt – wie immer stumm blieb. Ironischerweise trug er den Namen eines griechischen Redners, der im ersten Jahrhundert v . Chr. starb, dennoch sprach er oft tagelang kein einziges Wort. Ihn zeichnete nicht nur dieses bedrohliche Schweigen aus, sondern er hatte sich auch den Kopf geschoren und mehrere Augenbrauen-Piercings und Tätowierungen am Hals. Außerdem neigte er dazu, völlig unerwartet gewalttätig zu werden. Obwohl alle Mitglieder der Bellatorum – die Soldaten – von ihrem Volk gefürchtet waren, hatte man vor ihm die größte Angst.
    Celian blickte in den tiefblauen Himmel hinauf, der durch die kleinen Scheiben der steinernen Decke über ihnen zu sehen war. Oberhalb der antiken unterirdischen Kirche, deren Dach sich nur wenige Meter über der Straße erhob, begannen vereinzelt Sterne zu funkeln. »Es hat keinen Sinn, es noch länger aufzuschieben«, meinte er pragmatisch wie immer. »Je länger wir warten, desto schlimmer wird es sein, wenn er es schließlich erfährt.«
    Er stieß sich von der dorischen Säule ab, an die er sich gelehnt hatte, ging über den schon ziemlich lädierten Kirchenfußboden und verschwand durch eine verborgene Tür hinter dem Altar. Lix, Constantine und D tauschten einen Blick miteinander aus und folgten ihm dann.
    Der Korridor, den sie betraten, war kaum schulterbreit und an manchen Stellen so niedrig, dass sie die Köpfe einziehen mussten. Es war kühl, feucht und beinahe vollkommen dunkel. Doch sie lebten hier unten schon so lange, dass sie sich an die Temperaturen gewöhnt hatten und kein Licht brauchten, um sich zurechtzufinden. Mehr als zehn Minuten lang gingen sie schweigend dahin und tauchten immer tiefer in die Erde, während sie dem Hauptgang und seiner gewundenen Treppe nach oben folgten. Andere Korridore öffneten sich immer wieder zu beiden Seiten und verschwanden irgendwo in der Dunkelheit. Keiner der Männer blickte nach oben, um die uralten Fresken von Göttern, Reben und spielenden Putten an der

Weitere Kostenlose Bücher