Die verratene Nacht
fing Theo an, als er die Hand von seinem Bruder wegschob.
„Ich gehe jetzt.“ Lou öffnete jetzt die Tür.
„Was ich vorhin eigentlich sagen wollte“, fing Theo wieder an und hielt die Tür fest, aber widerstand der Versuchung sie zudonnern zu lassen, „das wäre gar keine so schlechte Idee, so sehr ich sie auch hasse. Du spazierst da rein. Ganz ehrlich: er wird dich nicht als große Bedrohung wahrnehmen. Vielleicht kannst du ihn ablenken und ich komme dann durch die andere Tür, also hinter ihm. Ich nehme mal an, ich komme durch diese Tür dorthin.“ Er zeigte auf die Tür am anderen Ende des Flurs.
Lous Gesicht entspannte sich wieder. „Gefällt mir. Ich werde mein Bestes tun, um ihn am Quasseln zu halten und davon abzulenken, nach der Tür zu schauen. Du kommst von hinten und an dem Punkt sehen wir dann weiter.“
„Aber du musst etwas tun, was ihn glauben lässt, dass du allein bist. Ansonsten–“
„Himmel Herrgott, Theo. Denkst du denn ich habe mein Hirn zusammen mit dem Sixpack am Bauch verloren? Ich kann das“, sagte Lou. „Geh schon. Gib mir zehn Minuten.“
Theo zögerte und nickte dann. „In Ordnung. Das ist deine Sache, Bruderherz“, sagte er gespielt lässig, auch wenn sein Magen kreuz und quer in Knoten lag. „Zehn Minuten und ich komme rein. Und ganz nebenbei“, fügte er hinzu, als er schon auf die Tür zuging, „welcher Sixpack?“
~*~
Adrenalin pumpte in riesigen Schüben durch Lou, als er sich der Tür zum OP-Raum näherte. Er trug das Gewehr, das Lou den Kopfgeldjägern abgenommen hatte, über der Schulter, hatte aber sonst nur wenig, womit er sich schützen könnte – außer seinem Grips.
Er entschied sich für den Angriff von vorn. Und nachdem er Theo ein paar Minuten Zeit gegeben hatte, um nach draußen zu gelangen, marschierte er rein.
Zuerst schien Ballard ihn gar nicht zu bemerken, denn er benutzte gerade einen Flaschenzug mit Schlinge, um die Frau aus dem Schleim-Kanal zu holen. Einen Moment lang hing sie nur da, ihre Arme und Beine bewegten sich zuerst schwerfällig, aber dann schneller vor Aufregung, als die schmierige Masse von ihrer Haut abglitt und runterploppte.
„Ganz ruhig“, sagte Ballard zu ihr. „Es wird alles wieder gut. Entspannen Sie sich, meine Liebe. Ganz ruhig.“ Er bewegte den Flaschenzug und manövrierte die Frau zu einem der Tische. Als er sie darauf fallen gelassen hatte, ging er rasch zu ihr hin und fesselte sie an einem Bein mit Gurten an den Tisch, bevor er ihren Körper aus der Schlinge nahm.
„Sagen Sie“, fuhr er im Plauderton fort, „würden Sie gerne wissen, wie lange Sie in der Schwebe gehalten wurden? Dieser Zustand ... na, so wie eine Art Limbo.“
Sie schien nicht genügend Kraft haben, um gegen ihn anzukämpfen, und Lou schaute mit fasziniertem Horror zu, als Ballard ihr anderes Bein und ihren Oberkörper an dem langen Tisch festmachte.
„Wie lange war ich...“, sagte sie.
„Laut meinen Unterlagen“, entgegnete Ballard, mit dem Rücken immer noch zu Lou, „hat man Sie in der Schwebe gehalten – meine Wortschöpfung, müssen Sie wissen – seit dem 15. Juni 2010. Das sind über fünfzig Jahre. Kann man gar nicht glauben, nicht wahr? Und nicht ein graues Haar.“ Er lachte einmal leise. „Wenn Sie nur nicht in dem schrecklichen Gel hätten schwimmen müssen.“
„Was?“, keuchte die Frau entsetzt auf. „Wovon reden Sie da?“ Sie fing an zu husten, heftig, und Ballard schaute hoch, von da, wo er gerade ihr Handgelenk festzurrte. Sorge auf seinem Gesicht.
„Oh je, jetzt schon?“ Er gab ein spöttisches Schnalzen von sich. „Das ging aber schnell. Nun, dann machen wir am besten rasch weiter. Ich möchte heute Nacht nur ungern noch einen von Ihren Gefährten herausfischen müssen.“
Es gelang der Frau ihre Hustenattacke in den Griff zu bekommen und sie fragte, „was machen Sie–“ Ihre Stimme endete abrupt und sie fing wieder an zu husten, krümmte sich und bog sich in ihrem gefesselten Zustand durch, während sie versuchte, wieder Luft zu kriegen.
„Meine Liebe“, sagte Ballard, der jetzt verärgert klang. „So wird das nicht funktionieren. Sie werden damit aufhören müssen, wenn Sie wollen, dass ich fortfahre. Wenn Sie sich vielleicht ein wenig beruhigen. Wir könnten plaudern und Sie könnten mir erzählen, was Sie früher gemacht haben ... und dann könnten wir–“
„Mit Ihrer Stammzellenforschung hat das hier nur noch wenig zu tun, oder? Ballard?“, sagte Lou, außerstande noch
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