Die verratene Nacht
Seitdem diese Sache mit Sage den Bach runtergegangen war, war Theo ein bisschen zurückhaltender und stiller geworden. Und schnippischer. Aber obwohl da jetzt nur Schweigen von seinem Zwilling kam, war die Verbindung immer noch offen und Lou fand Trost in dem vertrauten Band. Nur zu wissen, dass er da war.
Lou schaute den Computerbildschirm an, wo er gerade ein neues Programm geschrieben hatte, das versuchte die Zahlen-Informationen zu analysieren, die sie aus einem Tagebuch erhalten hatten, das sie den Fremden gestohlen hatten. Die Fremden nannte man auch die Elite. Das Wirrwarr aus Buchstaben und Ziffern beruhigte ihn ironischerweise trotz der Tatsache, dass er die Bedeutung der Sequenzen nicht entschlüsselt hatte.
Jetzt war er wieder in der Lage sich zu konzentrieren. Jetzt war er imstande seinen Kopf wieder auf die Aufgabe zu konzentrieren, die bis dahin er als eine Ablenkung genutzt hatte, um der Angst zu entgehen, er wäre wieder einmal alleine.
Elsie war etwa ein gutes Jahr nach dem Wechsel gestorben, als sie versuchte ihr gemeinsames Baby in einer Welt ohne Pitocin, ohne Epiduralanästhesie, ohne Notfall-Kaiserschnitt zu bekommen. Ein kleines Flattern ihrer Präsenz strich ihm hinten über den Nacken, unter dem silbergrauen Pferdeschwanz.
Wo bist du? , fragte er Theo.
Das wirst du kaum glauben.
Wo?
Ich bin auf Brad Blizeks Ranch.
Lous Augen wurden groß. Shit.
Er konnte Theo förmlich schmunzeln hören. Ich muss mich mal umsehen. Details später.
Erwarte Bericht asap. Ich erwarte so was wie Tony Starks Labor, du weißt schon.
Ich auch. Bis dann.
Brad Blizeks Ranch. Nicht übel. Würde da noch irgendwas von seinem Büro übrig sein? Mit diesem verlockenden Gedanken lenkte Lou seine Aufmerksamkeit wieder auf den Computerbildschirm und entschied da sofort und auf der Stelle: Wenn es auch nur halb so fantastisch war, wie er es sich ausmalte, dann würde er auch dahin gehen. Egal was Theo sagte.
~*~
„Was geht ab mit dem neuen Typ, diesem Theo?“ fragte Jen, als sie Selena auf dem Flur vor der Küche über den Weg lief.
„Was meinst du?“, antwortete Selena. Die Schulter tat ihr vorne weh, wo die Ganga sie zerfetzt hatten, und da war eine tiefe Schürfwunde unten an ihrem Rücken, wo sie aber sichergestellt hatte, dass Vonnie die nicht zu Gesicht bekommen hatte.
„Na, er ist nicht am Sterben. Und er kennt hier niemanden“, entgegnete Jen, der Selenas Ton anscheinend gar nicht bewusst wurde. „Warum ist er hier? Kennst du ihn? Bleibt er?“
Gute Frage. Selena zuckte mit den Schultern und zuckte dann bei dem scharfen Zwacken zusammen. „Ich weiß nicht, ob er bleiben wird, aber er ist kerngesund, soweit ich das beurteilen kann.“
„So viel ist klar“, sagte Jen mit Gusto. „Hast du den roten Drachen da an seinem Arm gesehen? Giga .“
Selena widerstand dem Drang den „Giga Giga“ Drachen an Theos Rücken zu erwähnen und zuckte nur noch einmal mit den Schultern – diesmal aber etwas vorsichtiger. Jen führte Sam schon eine gute Weile an der Nase herum – der arme, sechzehn Jahre alte Sam war zu jung für die niedliche, wenn auch etwas flatterhafte, Dreiundzwanzigjährige, aber da sie sehr oft mit Selena zusammen arbeitete, hatte diese räumliche Nähe zu etwas beigetragen, was Vonnie einen großen, fetten Peps-Verknall nannte.
Offensichtlich hatte Jen einen anderen, etwas angemesseneren Adressaten für ihre Schäkerei gefunden, wenn die Art und Weise, wie sie aus dem Fenster und hinein in Franks Garten spähte, irgendein Indiz war. Selena hatte Theo mit dem älteren Mann kurz zuvor hinausgehen sehen und man konnte sicher davon ausgehen, dass Frank ihn jetzt gut rannahm. Jen musste ihm begegnet sein, als sie von zu Hause kommend über das Gelände gelaufen war. Ihr Zuhause war auf halbem Weg zwischen hier und Yellow Mountain.
Selena fragte sich, ob es Theo in der Sonne heiß genug geworden war, so dass er bereits sein Hemd ausgezogen hatte, und der Gedanke ließ sie innehalten. Nicht der Gedanke an sich, aber die Tatsache, dass sie ihn gehabt hatte. Ohne Frage bewunderte auch Selena einen knackigen männlichen Körper, wenn einer ihr über den Weg lief, aber normalerweise tauchten solche Gedanken bei ihr nicht aus heiterem Himmel auf. Ach du liebe Oma, sie war über fünfzig Jahre alt und für sie waren die Tage der Leidenschaft schon längst vorbei. Und ganz nebenbei: einen Mann in ihrem Leben zu haben, wäre viel zu gefährlich.
Abgesehen davon gab es noch andere Dinge, um
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