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Die verratene Nacht

Die verratene Nacht

Titel: Die verratene Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen Gleason , Joss Ware
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sie lebten.
    Wenn man das, was sie taten, leben nennen konnte.
    Selena brannte der Hals. Es war schwierig genug die Seelen zu lenken und den Schmerz von gewöhnlichen Menschen zu lindern, wenn sie aus dem Leben schieden, aber den Schmerz und die Verzweiflung von diesen anderen grauenvollen, kannibalistischen Menschen auf sich zu nehmen ... oftmals war es zu viel. Der Kampf zwischen ihrem Grauen vor dem, was sie taten, und der Drang sie zu retten, weil sie nicht Herr ihrer eigenen Triebe waren, war ein Alptraum.
    Und dennoch konnte Selena nicht aufhören. Sie wusste, dass jeder, den sie rettete, eine Seele weniger war, gefangen im Zwischenreich – oder schlimmer gar – für immer gefangen. Schon eine gerettete Seele wog die Gefahr auf, war es wert, ausgestoßen zu sein, war den ständigen inneren Kampf, den sie ausfocht, wert.
    Selena verdrängte die Tränen durch Blinzeln. Jetzt war nicht der Moment sich ablenken zu lassen. Sie waren vielleicht verdammte Kreaturen, von Sinnen und ohne Verstand, aber in ihrer Verzweiflung waren sie auch todbringend.
    Das Gelände lag offen und weithin sichtbar vor ihr, und das absichtlich: damit man alles und jeden, der sich näherte von den Mauern aus erkennen konnte. Aber wenige hundert Meter weiter draußen machten Bäume und gewellter, zerstörter Asphalt aus den alten Tagen den Boden uneben und boten Schatten, wo man sich verstecken konnte. Die überwucherten Überreste eines Gebäudes hie und da bildeten niedrige, künstliche kleine Erhebungen auf dem Territorium, Gras schoss hoch und füllte Lücken zwischen den Trümmern.
    Selena packte ihren Kristall und zog ihn unter ihrer Tunika hervor, um ihn vorne offen zu tragen. Sie war noch nicht so weit, dass sie die schützende Hülle darum abstreifen würde und dem rosa gefärbten Stein gestatten würde in die Nacht hinaus zu leuchten. Nicht, bis sie nicht näher an die Gruppe der Zombies herangekommen war.
    Indem sie die Lichter ihrer orangenen Augen zählte, die von ihrem Aussichtspunkt wie torkelnde Glühwürmchen aussahen, ging sie davon aus, dass heute Nacht nicht einmal ein Dutzend unterwegs war. Sie war schon mit mehr klar gekommen, aber alles über fünf jagte ihr Angst ein und war riskant.
    Die altbekannte Furcht schnürte ihr den Hals zu und ihre Hände wurden klamm. Selena war sich auf einmal der Brise sehr bewusst, die kurz zuvor so erfrischend gewesen war, sich jetzt aber wie eine eisige Böe anfühlte. Das letzte bisschen Wärme von dem Wein, was sie zuvor so restlos entspannt hatte, war verschwunden und ließ sie angespannt und nervös zurück und machte, dass ihr das Herz hämmerte.
    Egal wie oft sie das hier machte, egal wie wichtig es war, wie unabdingbar ... Selena verspürte immer noch die gleiche Furcht. Als sollte sie an die Gefahren erinnert werden, zogen sich die Wunden an ihrer Brust zusammen und schmerzten. Und der Schnitt an ihrem Rücken, der eine, der vor langer Zeit verheilt war, zwackte.
    Aber sie ging weiter.
    Jetzt konnte sie ihren Geruch in der Luft wahrnehmen: der muffige Todesgeruch von altem Fleisch und die ekelhafte Fäulnis ihres Atems. Wie Sumpf und Müll, der seit Tagen in der Sonne da lag und vor sich hin schmorte.
    Aber das war noch gar nichts. Wenn sie näher kamen, würde sie kaum in der Lage sein zu atmen. Wegen dem Gestank.
    Selenas Hände waren kalt und klamm, und sie griff mit einer davon aus Reflex nach dem Kristall. Der war jetzt heiß, wie ein Stein, der unter der Asche von einem Feuer versteckt gelegen und den man dann rausgezogen hatte. Der dicke Beutel schützte sie vor der Hitze, aber bald würde sie diesen abnehmen, damit das rosige Glühen durch die Nacht leuchten konnte.
    Sie hielt in einem Schatten etwa hundert Meter von der Mauer entfernt an, und sogar noch weiter entfernt von dem Ganga-Trupp. Die Blüten von dem kleinen Grüppchen aus Apfelbäumen hatten schon ihre Blütenblätter fallen lassen und winzige Pfropfen hatten sich schon ausgeformt. Der zerquetschte und rostige Umriss von einem Auto befand sich nur wenige Meter entfernt und etwas, was wie ein altes Schild aussah, lehnte daran. Es war zu dunkel, um die verblichenen Worte da zu lesen, aber sie wusste, da drauf war ein großer weißer Kreis, ein kleinerer roter Kreis darin und schließlich ein fetter roter Punkt in der Mitte. Und irgendwas mit T drunter.
    Die Kreaturen waren irgendwie größer als die Menschen, aus denen sie hervorgegangen waren – größer und breiter und dicker, als ob man ihre

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