Die verratene Nacht
– ganz plötzlich – diese Fähigkeit verloren zu haben. Die mir, ganz nebenbei gesagt, in der Vergangenheit recht gelegen kam.“
Sie merkte da, dass sie sich aus ihrer Ecke rausgezogen hatte, interessiert und gespannt. Jetzt lehnte sie sich wieder auf ihren Platz zurück. Ah. Also war er nicht in der Lage ihr diese seltsame Sache zu demonstrieren. Sehr praktisch.
Aber warum sollte er wegen so einer Sache lügen? Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass es unerklärliche Dinge gab im Leben, und darüber hinaus. „Es scheint dir nicht allzu viel auszumachen“, merkte sie an. „Diese Fähigkeit zu verlieren.“
Er lächelte kurz und drückte dann ganz leicht den Fuß. „Es ist nicht, wie wenn man einen Arm oder ein Bein verlieren würde“, erwiderte er. „Ich meine, ich bin immer noch voll funktionstüchtig“, fügte er mit einem kurzen Lächeln von der Seite her hinzu. „Und es war nicht etwas, was ich ständig in Anspruch genommen habe, ja nicht einmal jeden Tag. Es hat eine Menge Kraft und Energie gekostet, das zu gebrauchen ... und danach war ich immer richtig schwach. Ich konnte kaum aufrecht stehen. Ich denke, dass dieser Stromschlag, der von dem Kristall kam und mich per Schock ins Leben zurückholte, bewirkt hat, dass die Schaltkreise durchgebrannt sind. Also ist der Strom jetzt weg ... aber ich bin noch am Leben. Ich denke, es war ein fairer Tausch.“
Sie verstand nicht wirklich alles, was er da erzählte, über durchbrennende Schaltkreise und so weiter, also nickte sie einfach.
„Nichts, was ich dagegen tun kann. Ich kann hundert Mal warum fragen, aber ich scheine nie eine Antwort zu kriegen.“
Selena starrte ihn an, in ihr erblühte etwas. „Das Gefühl kenne ich.“
„Ich weiß nicht, was passiert ist, oder warum du in der Lage warst, mich wieder ins Leben zurück zu holen. Ich wünschte, ich wüsste es. Es scheint, als müsste es einen Grund geben. Aber bislang habe ich nicht herausfinden können, was der wäre.“
Selena ließ seine Worte über sich streichen wie die sanfte Brise, und nahm sie einfach mal so hin. Sie mochte ihn. Sie wollte seine Worte nicht in Zweifel ziehen oder sich fragen, ob er seltsam war. Er war anders und sie wusste nicht, was er hier vorhatte, aber sie mochte ihn. Sehr. Und nicht nur wegen dieser breiten, starken Schultern. Sie fühlte sich wohl bei ihm. Als ob er die Dinge auf einer tieferen Ebene verstehen würde als die meisten Menschen. Es war leicht mit ihm zu reden und er hörte zu. Aber sie war innerlich immer noch nicht bereit, ihm alles zu erzählen. Sie hatte Brandon geliebt , sie hatte ein Kind mit ihm gehabt ... und er war nicht fähig gewesen, sie voll und ganz zu verstehen.
„Ich denke nicht, dass wir jemals die wahre Antwort bekommen, was das – warum etwas passiert – betrifft. Ob nun gut oder schlecht“, sagte sie. „Einfach oder schwer. Aber wir scheinen nur Fragen zu stellen, wenn es uns nicht gefällt. Wenn wir wissen müssen, warum jemand gestorben ist oder warum sich diese Tragödie ereignet hat, oder warum mir etwas Schwieriges abverlangt wird.“
Theo ließ ein weiteres kurzes Lächeln aufblitzen. „Das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Ich frage mich jetzt, in diesem Moment, warum ich so ein Glückspilz bin und mit dir neben mir diese Rundreise machen darf.“
Er bewegte sich auf seinem kleinen Sitzplatz und als Nächstes beugte er sich schon zu ihr vor. Ihren Fuß ließ er los, so dass er ungehindert zu Boden fallen konnte, er kam jetzt näher, der Strahl von einer roten Lampe berührte ihn an der Stirn. Sie schaute ihn an, ihre Blicke trafen sich, als er ihr gesamtes Gesichtsfeld ausfüllte und dann ihre Lippen mit seinen bedeckte.
Wärme und Hitze erblühten ihr überall, als ihre Münder sich berührten. Absolut perfekt. Lippen legten sich aneinander, als wären sie genau so geformt worden, sanft und voll und zärtlich. Er berührte sie nirgends, außer da, wo seine Hand sich auf dem Sitz neben ihr aufstützte, um sich stabil zu halten.
Und dann, ebenso geschmeidig, löste er sich wieder. Nach diesem einen, schlichten Kuss. Das Geräusch von dem unterbrochenen Sog bildete einen leisen Kontrapunkt zu dem tiefen Stöhnen der Maschinerie des Rads. Theo setzte sich wieder in seine Ecke und betrachtete sie. Sein geheimnisvollen Augen waren schmal und dunkel, immer wenn sie das Mondlicht einfing, leuchteten sie kurz auf.
Selena hämmerte das Herz und sie wollte vorwärts schwingen, wieder zu ihm hin, und diesen Kuss
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