Die Verratenen
nach oben, ertastet etwas Raues, ein Seil …
Kalte Erde unter meinem Körper. Keine Luft. Grau wabert vor meinen Augen vorbei, das Grau einer Sentinel-Uniform. Ich brauche Luft, meine Finger bohren sich unter das Seil, atmen, ich muss atmen!
Einer der Grauen sagt etwas, es klingt wie »schnell«, an seinem Kragen leuchtet keine Farbe.
Dunkle Schlieren vor meinen Augen. Blitze in meinem Kopf.
Nein! ,schreit es in mir, ich zerre an dem Seil, das mir das Leben abdrückt.
Die Stimmen der Männer versinken in einem Rauschen, ich trete um mich, spüre Widerstand, weiß nicht, was meine Füße treffen.
Keine Luft mehr. Keine Luft. Die Welt rückt in die Ferne und bald wird es mir egal sein, Gleichgültigkeit legt sich um mich wie ein warmer Mantel. Vorbei, gleich, dunkel …
Ein Versuch noch, nur einer. Meine Hände zerren am Seil, eine winzige Bewegung, ein winziger Atemzug, ein Schrei.
Dann wieder Enge, Schwärze. Dumpfe Laute ohne Bedeutung. Weiche, warme Welt.
Und plötzlich ist der Druck fort, Luft strömt durch meine wunde Kehle – nichts hat sich je so gut angefühlt, trotz der Schmerzen. Ich sauge den Sauerstoff in meine Lungen, bemerke kaum, dass etwas Schweres auf meine Beine niedersackt.
Stimmen, ein Brüllen, das Geräusch laufender Schritte, ein Kampf.
Der Hirsch, denke ich, doch erst als mein Blick wieder klarer wird, begreife ich, was wirklich passiert ist.
Ein Sentinel liegt quer über meinen Beinen, den Blick starr in den Himmel gerichtet, seine rechte Hand umklammert einen blutigen Pfeil, der aus seiner Brust ragt. Links von mir noch ein Sentinel, sein Gesicht in der Erde vergraben, neben ihm ein Seil.
Ich taste nach dem brennenden Ring um meinen Hals. Die Berührung ist kaum zu ertragen, und als ich meine Finger betrachte, sind sie voller Blut. Aber ich atme. Wieder und wieder. Ein und aus.
Der Lärm, den ich die ganze Zeit höre, ohne ihn zuordnen zu können, kommt aus der Richtung, in die die Jäger geschlichen sind. Doch nun stellen sie nicht mehr dem Hirsch, sondern neuem Wild nach: Zwei farblose Sentinel leben noch. Einer hat seinen Schockstab gezückt, der Griff leuchtet blau – er ist also komplett aufgeladen. Sandor umkreist den Mann, in der Hand eine lange Peitsche. Er wirkt ruhig, der Sentinel hektisch, aber keiner von beiden greift an.
Der zweite überlebende Sentinel versucht zu fliehen, doch es ist klar, dass sein Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist. Drei Jäger sind ihm auf den Fersen, ein vierter kniet mit gespanntem Bogen am Waldrand und wartet, bis die Gelegenheit für einen Schuss günstig ist.
Ein Knall. Sandors Peitsche hat dem Sentinel den Schockstab aus der Hand gerissen. Der Mann verfügt noch über ein Gewehr, doch das trägt er an einem Gurt auf dem Rücken. Ich halte Ausschau nach Sandors Bogen, doch er muss ihn von sich geworfen haben. Also hat er nur noch die Peitsche. Und das Messer in seinem Gürtel.
Mir ist schwindelig, aber ich versuche, mich aufzurichten. Doch ich schaffe es nicht, die Leiche von meinen Beinen zu schieben.
Pass auf, will ich rufen. Sie sind gut trainiert, sie zucken nicht einmal mit der Wimper, bevor sie angreifen. Und das hier sind Exekutoren, die sicher eine Spezialausbildung absolviert haben.
Doch ich bekomme keinen Ton heraus, nur ein stimmloses Flüstern, und allein der Versuch treibt mir Tränen in die Augen.
Der Peitschenstrang schwingt sachte am Stiel hin und her, als wollte Sandor den Sentinel damit hypnotisieren.
»Gib auf, Prim!«, ruft der Mann. »Das hier geht dich nichts an.« Er macht zwei Schritte in meine Richtung und Sandor schnellt vorwärts, versperrt ihm den Weg.
»Na schön.« Schneller, als ich es mir hätte vorstellen können, zieht der Farblose die Waffe von seinem Rücken, Sandor springt zu Seite, der Schuss geht ins Leere und im nächsten Moment stolpert der Sentinel nach hinten. Aus seiner Miene spricht Verblüffung.
Ein weiterer Schuss trifft die Baumkronen, dann lässt der Mann das Gewehr fallen und hustet. Fällt auf die Knie. Etwas Kleines, Dunkles ragt aus seinem Körper, etwa auf Höhe des Magens.
Der Griff des Messers, das Sandor nun nicht mehr am Gürtel trägt.
Als er auf den Sentinel zugeht, drehe ich mich weg. Ich will nicht sehen, was als Nächstes passiert, außerdem werden die Schmerzen an meinem Hals mit jeder Minute schlimmer.
Was, wenn meine Luftröhre zuschwillt? Ich versuche, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Da, da ist Schnee. Ich zwinge mich, ihn zu schlucken – Kälte
Weitere Kostenlose Bücher