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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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mindert Schwellungen. Es ist, als würden sich Rasierklingen meine Kehle hinunterzwängen.
    Zwei weitere Hände voll Schnee presse ich auf meine wunde Haut. Mir ist übel, aber die Vorstellung, wie unerträglich Erbrechen in der momentanen Situation wäre, lässt mich das Gefühl mit aller Gewalt unterdrücken. Ich esse mehr Schnee, in der Hoffnung, alles, alles zu betäuben.
    Als ich das nächste Mal hochsehe, steckt Sandors Messer wieder in seinem Gürtel, er hält den Schockstab in der Hand und untersucht ihn sorgfältig. Vor ihm, auf dem tauenden Boden, liegt der regungslose Sentinel.
    Die anderen Jäger sind auf dem Weg zurück zu uns, in ihren Händen sehe ich Uniformteile, ein Gewehr und Stiefel. Sieg auf der ganzen Linie.
    Trotzdem erschaudere ich, aber das kann auch am Schmelzwasser liegen, das an meinem Hals hinunterläuft, in den Kragen hinein.
    Vier tote Exekutoren. Sie haben mich ganz gezielt angegriffen. Gewartet, bis die Dornen mit ihrer Jagd beschäftigt waren, und erst dann zugeschlagen, lautlos. Mit einem Schuss wäre alles viel schneller erledigt gewesen, aber vermutlich wollten sie sich nicht auf eine Begegnung mit den Jägern einlassen. Oder wieder einmal jeglichen Verdacht auf den Clan lenken.
    Das wahre Gewicht des Ereignisses wird mir erst bewusst, als wir uns auf den Heimweg machen.
    Es kann natürlich sein, dass die vier Sentinel einen reinen Zufallstreffer gelandet haben. Nicht nur die Schlitzer werden Fotos von uns erhalten haben, sondern auch die Soldaten des Sphärenbundes. Sie könnten mich mit dem Fernrohr, das Milan nun stolz um den Hals trägt, aufgespürt haben und wollten mich daraufhin schnell aus dem Weg räumen. Ein Verschwörer weniger.
    Oder, viel schlimmer, sie haben unseren Unterschlupf ausfindig gemacht. Deshalb die vielen Sentinel, die gestern überall gesichtet wurden. Dann wird es bis zum nächsten Angriff nicht mehr lange dauern.
    Das Gehen fällt mir schwer, immer wieder habe ich Angst, zu wenig Luft zu bekommen, muss Pausen machen. Einmal fühle ich das zaghafte Vibrieren meines Salvators, setze mich auf einen Haufen alter, nasser Ziegel und schiebe den Ärmel zurück. Das Display flackert blau, eine Acht wird sichtbar, ein Schrägstrich, danach nur noch unleserliche Zeichen. Ein misslungener Versuch, mich auf die geringe Sauerstoffsättigung in meinem Blut aufmerksam zu machen, vermute ich und ziehe den Ärmel wieder über das Gerät.
    Das nächste Mal, als ich eine Pause einlegen muss – nur kurze Zeit später –, schickt Sandor drei seiner Leute zurück in den Wald. »Der Hirsch ist über alle Berge, aber vielleicht findet ihr Kaninchen. Oder Schneehühner. Wenn nicht, müssen wir hoffen, dass die andere Jagdgruppe mehr Glück gehabt hat.«
    Die drei, unter ihnen Milan mit dem Fernrohr, machen sich auf den Weg, und ich will mich ebenfalls von meinem Baumstumpf hochquälen, damit wir weitergehen können, aber Sandor hält mich zurück.
    »Warte. So eilig haben wir es nicht.« Er hebt die Hand und ich denke kurz, er will meinen wunden Hals berühren, doch dann lässt er sie wieder sinken und schüttelt den Kopf. »Kanntest du die Männer?«
    Ich will seine Frage verneinen, doch es kommt kein Laut aus meinem Mund, daher beschränkt sich meine Antwort ebenfalls auf ein Kopfschütteln.
    »Haben sie etwas zu dir gesagt?«
    Erneutes Kopfschütteln. Ich deute auf meine Ohren und zucke mit den Schultern. Ich habe nichts gehört. Keine Worte, keine Schritte, soll das heißen.
    Sandor versteht, was ich meine, trotzdem fühle ich mich, als hätte mir jemand einen meiner wichtigsten Körperteile amputiert. Man hat mich meiner Sprache beraubt, die für mich gleichzeitig Schild und Waffe ist. Ohne sie bin ich nichts.
    »Bekommst du genügend Luft?« Sandor hockt sich neben mich und befühlt nun doch die Würgemale an meinem Hals. Sachte, kaum spürbar.
    Ich nicke. Danke, würde ich gern sagen. Ich lege das Wort in meinen Blick und hoffe, Sandor versteht mich.
    Er zieht mich hoch. »Gib Bescheid, wenn du wieder eine Pause brauchst, nur sollten wir nicht zu lange an einem Ort bleiben. Wölfe können verwundete Tiere kilometerweit wittern.«
    Wie ein verwundetes Tier fühle ich mich tatsächlich. Wie ein ängstliches außerdem. Wölfe. Ich kann sie fast jede Nacht heulen hören, aber tagsüber habe ich schon lange keine mehr gesehen. Doch Sandor wird wissen, wovon er spricht.
    Ich versuche, mich auf meine Schritte zu konzentrieren, was aber nicht klappt, meine Gedanken machen sich

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