Die Verratenen
noch heftiger flackert und dann ganz erlischt. Neben mir regt sich Aureljo im Schlaf.
Flieht. Das kann ein guter Rat sein. Schwer einzuschätzen, wenn man nicht weiß, aus welcher Richtung Gefahr droht.
Auch am nächsten Tag kehrt meine Stimme nicht wieder. Die Schmerzen haben sich verändert, sind weniger scharfkantig, aber an Essen ist immer noch nicht zu denken.
Eine gute Nachricht ist dagegen, dass die Wachen in der Nacht keine Sentinel gesichtet haben. Möglich also, dass mich die vier gestern zufällig entdeckt und daraufhin spontan zugeschlagen haben. Das würde bedeuten, dass unser Versteck weiterhin sicher ist.
Sicher ist ohnehin das falsche Wort. Aus dem Stockwerk unter mir höre ich den ganzen Morgen über Gespräche, die sich alle um uns drehen. In beunruhigender Art und Weise.
»Völlig irre, die Lieblinge hier zu verstecken.«
»Finde ich auch. Aber der Than sagt –«
»Der Than, der Than. Der ist doch noch grün hinter den Ohren. Wir schützen den Feind und dann werden noch mehr Feinde kommen und uns einen Kopf kürzer machen, weil wir uns in ihre Angelegenheiten eingemischt haben.«
»Wir könnten sie in den Fluss werfen. Und Quirin erzählen, sie wären hineingesprungen, um sich zu waschen. Lieblinge sollen ja so reinlich sein.«
»Ja. Wäre aber auch lustig, sie zu den Scharten zu schicken. Mal sehen, ob die sie auch so nett behandeln.«
»Oder einfach schnipp, schnapp, Kopf ab.«
Gelächter.
Mehr bekomme ich von dem Gesagten nicht mit, denn die Männer entfernen sich.
Bevor sie zur Arbeit aufbricht, kommt Lore vorbei, in den Händen ein dampfendes Gefäß, aus dem es duftet, fremd und gleichzeitig vertraut.
Ein Sud aus frischen Tannennadeln, erklärt sie, der wärmen und gegen die Schwellung helfen soll.
Ihre Freundlichkeit tut mir gut. Ich könnte mir vorstellen, dass sie protestieren würde, sollten die Männer Anstalten machen, uns in den Fluss zu werfen.
»Nachdem der meiste Schnee geschmolzen ist, sind die Freileger jetzt Pflücker«, berichtet sie, während ich tropfenweise trinke und versuche, die Tränen zurückzuhalten, die mir der Schmerz beim Schlucken in die Augen treibt. »Du solltest mit uns kommen, sobald du wieder gesund bist. Das wird dir gefallen.« Sie erzählt mir vom Brennholzsammeln und vom Ausgraben essbarer Wurzeln, aber meine Aufmerksamkeit driftet langsam ab.
… e … ss … n … o … hr, das war der Anfang der Botschaft. Mein Kopf macht unweigerlich essen und Ohr daraus, was natürlich nicht stimmen kann. Aber um mir über die tatsächliche Bedeutung klar zu werden, brauche ich Ruhe.
Und ein Blatt Papier. Mein im Nebengebäude verborgener Schatz fällt mir wieder ein und meine Laune hebt sich ein wenig. Rätsel sind dazu da, um gelöst zu werden.
Aber als ich mit dem spiralgebundenen Schreibpapier unter der Jacke und einem der Stifte im Ärmel in unser neues Zimmer zurückkehre, wartet Dantorian dort auf mich – sichtlich glücklich, dass er heute nicht der Einzige ist, der zurückbleibt.
Er ist voller Vorfreude und felsenfest überzeugt, dass Aureljos Plan, in Vienna 2 alle Irrtümer aufzuklären, gelingen wird. Während er versucht, mich in ein Gespräch zu verwickeln, und meine pantomimischen Hinweise auf meine momentane Stummheit ignoriert, macht er Gehübungen.
Er erholt sich, keine Frage. Es wird nicht mehr lange dauern, dann kann er weitere Strecken zurücklegen, Fleming sei Dank.
Endlich, gut zwei Stunden später, klopft das Mädchen mit dem versengten Haar – Dinah, sie heißt Dinah – an die Tür. Mich ignoriert sie völlig, aber von Dantorian möchte sie wissen, ob er für die Näherinnen Flöte spielen würde.
»Mit dem größten Vergnügen!« Dantorian humpelt eilig zur Tür, dreht sich beim Hinausgehen aber noch einmal um. »Ist das für dich in Ordnung? Vielleicht willst du mitkommen? Ich weiß, wie öde und lang die Tage sein können, wenn man allein ist.«
Ich lächle und schüttle den Kopf. Dantorian ist ein netter Kerl, keine Frage, aber einen größeren Gefallen, als zu verschwinden, kann er mir gar nicht tun.
… e … ss … n … o … hr … id … mi … ha … uc … err … e … F … ht!
Jetzt, bei Tageslicht, ist die Botschaft auf dem Display wieder zu erkennen. Blass, aber eindeutig. Ich übertrage die Buchstaben auf das Papier und genieße das Gefühl, mit dem Stift Spuren zu hinterlassen.
… uc …, das könnte ein Teil der Worte sucht oder Suche sein. Aber ebenso gut könnte es Ruck oder auch
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