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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Verwundung ein halsbrecherisches Unterfangen gewesen. Jetzt ist es ein Ding der Unmöglichkeit.
    Wenn doch nur Aureljo, Fleming und Tomma schon zurück wären. Aber vielleicht sind sie auch bereits tot. Sollten uns die Exekutoren schnell und ohne großes Aufsehen erledigen wollen, werden sie versuchen, an mehreren Stellen gleichzeitig zuzuschlagen.
    Jede Minute, die Andris fort ist, verstreicht doppelt so langsam wie gewöhnlich. Und ich weiß, dass es viel zu früh ist, um ungeduldig zu sein, denn er braucht für den Weg mindestens eine Stunde, wenn nicht sogar länger, je nachdem, wohin die Arbeitstrupps aufgebrochen sind. Und es ist nicht gesagt, dass er Fleming sofort findet. Ich sollte mich besser auf Tycho konzentrieren.
    Fiore hat jemandem ein Fläschchen mit aus Zapfen gebranntem Alkohol abgeschwatzt. Gemeinsam lösen wir noch einmal den Verband und desinfizieren die Wunde. Der Schmerz muss enorm sein, denn er reißt Tycho aus seiner Bewusstlosigkeit. Heulend bäumt er sich auf.
    »Ruhig.« Fiore drückt ihn auf den Tisch zurück. »Wir haben es gleich. Zähne zusammenbeißen.«
    Immerhin können wir ihm nun Wasser einflößen. Den Flüssigkeitsverlust auszugleichen ist wichtig, erinnere ich mich. Danach wirkt Tycho etwas ruhiger. Sein Atem geht regelmäßiger, und als er die Augen schließt, sieht es so aus, als würde er einschlafen und nicht das Bewusstsein verlieren.
    Noch immer kein Lebenszeichen von Aureljo, Fleming oder Tomma. In meiner Fantasie sind sie alle tot – ich sehe eingeschlagene Köpfe, durchtrennte Kehlen, eine durchschossene Brust.
    »Du läufst hier rum wie ein Wolf im Käfig«, bemerkt Fiore irritiert. »Hör auf damit, ja?«
    Aber ich will nicht. Natürlich könnte ich meine Emotionen kontrollieren, an ruhiges Wasser denken oder an helle Steine. Aber es würde nichts bringen, niemandem helfen. Ich laufe weiter an den Wänden entlang und nach einer Weile gibt Fiore ihren Protest auf.
    Eine halbe Stunde später fliegt die Tür auf, aber es ist keiner der Erwarteten, sondern Quirin, der erfahren hat, was passiert ist. Nach der ersten Enttäuschung beruhigt seine Anwesenheit mich auf geradezu lächerliche Art und Weise. Es ist, als hätte ein Arzt den Raum betreten. Oder ein Mentor.
    Quirin befühlt Tychos Stirn, kontrolliert seinen Puls. »Er wird es überstehen. Wie viele waren es, Fiore?«
    »Acht habe ich gesehen, aber möglicherweise waren noch mehr da. Sie müssen gewusst haben, wo wir heute arbeiten wollten, denn sie haben im Nebengebäude auf der Lauer gelegen.«
    Dann wissen sie auch, wo heute gejagt wird und wo die Ziegen weiden … Der Gedanke drückt mir die Luft ab, ich muss raus, durchatmen.
    Es ist ein klarer Tag, die Sicht ist gut. Das wird die Sentinel freuen.
    Nein, so darf ich nicht denken!
    Mit zusammengekniffenen Augen spähe ich in die Richtung, die die Jäger immer einschlagen, zum breiten Strom. Von dort müssten sie auch heute zurückkommen.
    Hör auf damit, es ist noch zu früh, du machst dich verrückt. Meine innere Stimme ist vernünftig, aber leider nicht stark genug. Das Gefühl, dass etwas Furchtbares passieren wird, lässt sich nicht vertreiben.
    »Komm wieder herein.« Ein Arm legt sich um meine Schultern. Quirin. »So, wie du hier stehst, gibst du ein viel zu gutes Ziel ab.«
    Also hegt er die gleichen Befürchtungen wie ich. Dass der Sphärenbund einen schnellen Schlussstrich ziehen will. Ich wünschte, ich könnte wenigstens über meine Gedanken sprechen, aber nach wie vor kommt kein Laut aus meiner Kehle.
    Ich habe das Gefühl, dass eine Ewigkeit vergangen ist, als sich die Tür zur Halle erneut öffnet und Tomma hereinkommt. Immerhin.
    »Ich habe es eben erst erfahren, wie geht es Tycho?« Sie beugt sich über ihn und berührt zaghaft den blutigen Verband.
    »Keiner von euch darf mehr hinaus«, sagt Quirin bestimmt. »Hörst du, Tomma? Es sind mehrere Trupps und sie suchen nach euch, gezielt. Unter den Dornen habt ihr nicht allzu viele Freunde und nur die wenigsten würden ihr Leben riskieren, um eures zu schützen. Sie sind froh, dass die Sentinel es diesmal nicht auf sie abgesehen haben.« Er tritt einen Schritt auf Tomma zu und hebt ihr Kinn, sieht ihr tief in die Augen. »Hast du mich verstanden? Bleib im Haus.«
    Sie lächelt. »Sicher. Danke, dass Sie sich so um uns sorgen. Um uns alle.«
    Nicht um uns, nur um das, was wir erfahren haben und weitergeben können, denke ich und schäme mich im gleichen Moment. Es ist nicht fair.
    Danke, forme ich

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