Die Verratenen
mit den Lippen und sehe Quirin dabei an.
»Ich wollte ohnehin ein paar Tage ausruhen«, plaudert Tomma weiter, »die viele Zeit im Freien tut meinem Husten und meinem Hals nicht gut.« Im nächsten Moment schlägt sie sich die Hand vor den Mund. »Tut mir leid, Ria. Im Vergleich zu deinen Halsschmerzen ist das natürlich … gar nichts.«
Schon gut, nicke ich. Viel schlimmer als die Schmerzen finde ich den Verlust meiner Stimme. Keine Fragen stellen, keine Gespräche lenken zu können. Ich denke an das kostbare Papier, oben, in unserem Zimmer. Soll ich es opfern, um mich besser verständlich machen zu können? Im Notfall, nehme ich mir vor, werde ich das tun.
Immerhin sind meine Ohren noch intakt und deshalb höre ich die Jäger zurückkommen, noch bevor sie die Halle erreichen. Ihre Gespräche sind laut und aufgeregt, und bevor Quirin mich daran hindern kann, bin ich aus der Tür geschlüpft.
Aureljo. Aufrecht und unverletzt. Ich will vor Erleichterung lachen, aber die Klingen in meinem Hals lassen das nicht zu. Neben ihm geht Sandor, mit gerunzelter Stirn, Peitsche und Messer in den Händen. Hinter ihm Fleming, ebenfalls heil und unversehrt.
»Wo ist Tycho?«, fragt er und ich deute auf die Halle. Er nickt, die dunklen Ringe unter seinen Augen lassen auf eine durchwachte Nacht schließen. Noch im Gehen holt er seine Latexhandschuhe aus dem Medpack und streift sie über, das gibt mir Gelegenheit, einen Blick in den geöffneten Rucksack zu werfen.
Kaum noch etwas drin. Ein kleiner Rest Verbandsstoff, ein paar Ampullen ohne Beschriftung. Fleming hat fast sein ganzes Arbeitsmaterial verbraucht.
Ein paar Minuten später stehen wir alle in einem Halbkreis um Tycho herum und sehen Fleming dabei zu, wie er die Verbände abnimmt und die Wunde darunter mit geübten Fingern untersucht.
»Glück im Unglück«, sagt er. »Durchschuss.«
»Ja. Aber viel länger könnt ihr euer Glück nicht mehr strapazieren«, erwidert Quirin. »Ihr müsst gehen. Der Clan wird euch nicht daran hindern, nachdem ich Anspruch auf euch erhoben habe. Verabschiedet euch von den Dornen, sagt ihnen, ihr zieht den Fluss entlang nach Westen, damit sie alle dasselbe erzählen, wenn die Sentinel wissen wollen, wo ihr abgeblieben seid. Dann verstecke ich euch und wir finden einen Weg, euch in eine der Sphären zu bringen.«
Fleming fährt herum. »Nicht das schon wieder! Wir werden nicht zurückgehen. Wenn Aureljo für kurze Zeit seinen Ehrgeiz beiseitelassen könnte, würde er einsehen, dass es Wahnsinn ist.«
Ich kenne das Lächeln, das Aureljo jetzt aufsetzt. Das hat nichts mit Freundlichkeit zu tun. »Du siehst doch, dass sie uns töten wollen, egal was wir machen. Da sterbe ich lieber mit einer Erklärung als unwissend in der Wildnis, mit einer Kugel im Kopf.«
Fleming öffnet den Mund zu einer Antwort, schließt ihn aber wieder, bevor er auch nur ein Wort gesagt hat. Er wendet sich Tycho zu und legt seine letzte Mullkompresse auf dessen Wunde, dann verbindet er sie neu. »Wozu mache ich das überhaupt noch«, murmelt er.
Quirins Blick wandert von ihm zu Aureljo und wieder zurück. »Ihr solltet deswegen nicht streiten. Einen sicheren Ausweg gibt es nicht, fürchte ich. Weder hier noch in den Sphären.«
Um Flemings Mund spielt ein spöttisches Lächeln. »In dem Punkt kann ich wohl kaum widersprechen. Unsere Lebenserwartung ist da wie dort ein Witz.« Er legt den Kopf schief. »Hier draußen tippe ich auf vier Monate, sechs vielleicht, wenn wir uns gut halten. Aber ich glaube nicht, dass einer von uns das Ende des nächsten Winters erleben würde.« Er legt den Kopf schief und sucht Quirins Blick. »Allerdings kommt es doch immer auch darauf an, wie man stirbt, nicht? Erfrieren soll sehr friedlich sein. Und gewisse Fieberarten lassen einen sanft ins Nichts hinübergleiten. Ganz anders als Würgeschlingen oder ein Erschießungskommando.«
Quirin betrachtet seine Hände. Es dauert einige Zeit, bis er reagiert. »Ich unterstütze Aureljo, weil sein Plan mit Hoffnung verbunden ist. Darauf kommt es an. Versprichst du dir denn wirklich nicht mehr vom Leben als einen friedvollen Tod?« Damit geht er aus der Halle und wenig später verabschiedet sich auch Fiore.
»Ich muss das tun, verstehst du das nicht?« Aureljo versucht noch einmal, Fleming seine Motive näherzubringen. »Stell dir vor, wir fliehen weiter und weiter, immer voller Angst, immer Sentinel auf unseren Fersen. Das ist doch kein Leben! Zumindest nicht, solange noch die
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