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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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sich unterhalten und was sie bewegt. Eine Verschwörung wäre von uns enttarnt worden, bevor sie dem Präsidenten zu Ohren hätte kommen können.«
    Etwas an Gorgias’ Verteidigungsrede irritiert mich. Ich brauche einen Augenblick, bis ich es zu fassen bekomme. Wir wissen, worüber sie sich unterhalten. Tatsächlich? Woher?
    Das werde ich nachher mit Aureljo besprechen, unter vier Augen – hoffe ich wenigstens –, doch jetzt beansprucht das gedämpfte Lachen des Unbekannten meine ganze Aufmerksamkeit.
    »Ich zweifle nicht daran, dass Sie gut informiert sind. Aber unsere Quellen sind doch ein wenig vielfältiger. Der Verdacht, den ich angesprochen habe, besteht schon längere Zeit. Nun hat er sich bestätigt.«
    Eine Pause entsteht, in der ich mein Herz klopfen hören kann. Wenn der Fremde recht hat und es Verräter an der Akademie gibt, kenne ich sie wahrscheinlich. Zumindest vom Sehen, vom Einanderzunicken auf den Gängen. Oder wir haben in der Mensa gemeinsam angestanden.
    Vor meinem geistigen Auge sehe ich Graukos missbilligendes Gesicht. Ich arbeite seit meinem ersten Tag an der Akademie daran, Lügen zu erkennen, Lügner zu identifizieren, die Absichten anderer zu durchschauen. Wenn es eine Verschwörung gibt, hätte ich davon etwas mitbekommen müssen, sonst waren alle meine Lektionen umsonst.
    »Ein Verdacht«, höre ich Morus sagen, »ist die eine Sache. Beweise sind eine andere. Ich vermute, Sie haben Beweise?«
    Der Fremde schweigt. Ich sehe ihn nicht, ich kenne ihn nicht, trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es keine Verlegenheit ist, die ihm die Sprache verschlägt. Nein, er setzt eine Pause, in der er Morus vermutlich mustert, von oben bis unten. Nach einigen Sekunden kommt die Antwort, eisig.
    »Selbstverständlich. Sind Sie sich der Bedeutung von Jordans Chronik bewusst?«
    Leises Summen. Mein Salvator vibriert, er meldet einen ungewöhnlichen Pulsanstieg. Wenn ich nicht aufpasse, wird er zu piepsen beginnen. Ruhig also. Ich atme tief und langsam ein und aus, versuche einzuordnen, was der Unbekannte gesagt hat. Jordans Chronik? Das klingt wie einer dieser Erlebnisberichte, die manche Autoren über ihre Reisen zwischen den Sphären verfassen. Von dieser Chronik aber habe ich noch nie gehört.
    Mein Puls senkt sich allmählich auf den normalen Wert. Zur Sicherheit mache ich trotzdem ein paar vorsichtige, geräuschlose Schritte zurück zur Treppe. Falls das Notsignal des Salvators doch losgehen oder die Tür plötzlich aufspringen sollte, kann ich wegrennen. Mich vor Gorgias oder Morus zu verantworten, traue ich mir zu, doch dem Mann mit der raspelnden Stimme will ich nicht gegenübertreten.
    »Natürlich bin ich mir der Bedeutung bewusst, aber das kann doch nicht Ihr Ernst sein.« Gorgias’ Stimme klingt mit einem Mal ganz heiser. »Legen Sie uns die Beweise vor.«
    »Natürlich.«
    Ein dumpfes Geräusch, das wohl daher rührt, dass etwas auf einen Tisch gelegt wird. Dann die Abfolge von drei Tönen, die anzeigt, dass jemand sein Datenterminal eingeschaltet hat. In der Stille, die darauf folgt, kommen mir meine Atemgeräusche plötzlich viel zu laut vor.
    Weit entfernt, in einem anderen Teil der Bibliothek, fällt etwas polternd zu Boden.
    Die Stille dauert lange an und das Erste, das Minuten später bis zu mir dringt, ist ein lang gezogenes Stöhnen. »Damit … damit hätte ich nie gerechnet.« Die Worte klingen gepresst und so leise, dass ich sie kaum verstehe. »Unvorstellbar, dass jemand zu so etwas fähig ist.« Gorgias atmet tief durch. »Besteht kein Zweifel?«
    »Nicht der geringste.«
    Ich würde drei Plätze in der Reihung dafür geben zu sehen, was Gorgias gerade sieht. Beweise für eine Verschwörung – das müssen Schriftstücke sein, Nachrichten an Rebellen, Hinweise darauf, wo die Sphären ihre Schwachpunkte haben. Hat jemand von uns heikle Informationen an die Prims weitergegeben? Ist diese Chronik vielleicht ein Buch, das Lücken in unserem System aufführt?
    Dass Studenten bereit sein könnten, uns den Clans auszuliefern, indem sie solche Informationen weitergeben, macht mich zu fassungslos, um wütend zu sein. Doch die Wut wird kommen, ich weiß es.
    »Eine Katastrophe«, höre ich Morus leise sagen, es klingt ehrlich erschüttert. »Das bedeutet …«
    »Die Betreffenden müssen getötet werden.« Der Fremde teilt das so nüchtern mit, als ginge es um einen Belüftungsfilter, der ausgetauscht werden muss. »Schnell und ohne großes Aufheben darum zu machen. Alles andere wäre

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