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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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zu riskant. Je weniger Bewohner erfahren, wie gefährlich diese Sache für uns hätte werden können, desto besser.«
    Ohne es richtig wahrzunehmen, habe ich mich zusammengekauert, mich klein gemacht auf der obersten Treppenstufe. Töten. Ohne Prozess? Im Sphärenbund werden nur selten Menschen zum Tode verurteilt, doch die bekommen zuvor die Chance, sich zu verteidigen und ihre Unschuld zu beweisen. Was der Mann mit der rauen Stimme vorhat – ein schnelles Töten, ohne Aufsehen –, wird nicht möglich sein. Das Fehlen der Studenten wird den anderen auffallen, sie werden Fragen stellen.
    Ich werde Fragen stellen.
    Die Worte des Unbekannten müssen Gorgias für einige Minuten die Sprache verschlagen haben, jetzt räuspert er sich auf die gleiche Art, wie er es immer tut, bevor er einen von uns Studenten zurechtweist. Ich erwarte, dass er protestiert, es geht schließlich um junge, hervorragend ausgebildete Menschen, die sich in seiner Obhut befinden. Er wird nicht zulassen, dass sie hingerichtet werden, ohne dass alles seine Richtigkeit hat. Auch, wenn sie uns verraten haben. Es gibt Gefängnisse, weit im Norden. Ein hartes Leben voller schwerer Arbeit, aber besser als ein Schuss ins Genick. Ich erwarte, dass Gorgias in etwa das sagen wird, was ich gerade denke, doch als er spricht, kommt nur ein einziges Wort über seine Lippen.
    »Wer?«
    Ein Seufzen. Offenbar ist das Gespräch an einem Punkt angekommen, den der Fremde gern umschifft hätte. »Das wird Sie ein wenig schmerzen. Ist nicht leicht zu verkraften.«
    »Wer?«
    Wieder bringt mein Herzschlag den Salvator zum Summen, ich muss mich auf meinen Atem konzentrieren, notfalls die Luft anhalten. Es kommt jetzt auf jedes Wort an, das in dem Raum gesprochen wird, kaum zehn Schritte von mir entfernt.
    Wenn ich weiß, wer es ist, was werde ich tun? Werde ich diejenigen beobachten und versuchen, mehr über die Verschwörung zu erfahren? Werde ich sie warnen?
    »Es sind fünf. Nein, sechs.«
    So viele. Ich schlucke an etwas Großem, das mir in der Kehle steckt. Ich werde jemanden davon kennen, ganz sicher, mindestens einen, vielleicht mehr, vielleicht alle. Ich will die nächsten Worte des Fremden nicht hören, trotzdem lausche ich so gebannt wie nie zuvor in meinem Leben.
    »Die Nummer 114, die 89, die 65.«
    »Nein«, stöhnt Morus. »Das ist einfach furchtbar.«
    89, wer ist das nur? Bei den Studenten, die über 100 gereiht sind, weiß ich die Nummern nur selten, aber die 89 kenne ich bestimmt und die 65 … ist Tomma, von der 66 aufgestiegen durch Curvellis Tod.
    Es ist wie ein Schlag in den Magen, ich höre mich nach Luft schnappen, ein hoher, erstickter Laut. Haben die Männer ihn auch gehört?
    Tomma doch nicht. Niemals. Das muss ein Irrtum sein, ein Versehen, ganz bestimmt. Sicher ist die alte 65 gemeint, Ephrim. Ich werde mit Gorgias und Morus sprechen und alles wird sich aufklären.
    Ssssrrrr macht der Salvator. Am liebsten würde ich ihn abschalten oder ihn mir vom Handgelenk reißen, aber das würde er mit noch lauteren Signaltönen quittieren. Ruhig atmen, ruhig, ruhig, ruhig.
    »Wer noch?« Gorgias’ Stimme hört sich an, als hielte er sich eine Hand vor den Mund.
    »Die 32«, sagt der Fremde. »Und leider auch zwei Ihrer besten Studenten.« Erstmals macht es den Eindruck, als täten ihm seine Enthüllungen leid.
    Ich presse die Lider zusammen, bis ich weiße Blitze sehe. Fleming ist die 32, und wenn die anderen beiden noch besser gereiht sind, dann sind es Freunde von mir, und dann …
    »Die 7«, sagt der Unbekannte. »Und die 1.«
    Mein gedämpfter Aufschrei geht in dem lautstarken Protest von Gorgias und Morus unter. Sie reden durcheinander, ich verstehe kein Wort, das Blut in meinem Kopf rauscht wie verrückt, mir ist schwindelig, gleich werde ich umkippen. Mein Salvator beginnt zu piepsen, noch ist der Ton leise, ich kann ihn mit meiner schweißnassen Hand dämpfen. Eine Minute lang. Dann müssen meine Körperfunktionen im Normbereich sein oder er wird Alarm schlagen und dem Medcenter meine Position funken.
    »Es muss eine andere Lösung geben!«, ruft Gorgias.
    »Nein. Die Regierung will einen Schnitt, sauber und endgültig.«
    »Unmöglich.«
    »Das haben Sie nicht zu entscheiden.«
    Das Piepsen wird lauter, gleich wird einer der drei nachsehen, woher das Geräusch kommt, und mich hier vorfinden, zusammengekauert und starr vor Entsetzen. Ich kämpfe mich auf die Beine, mir ist übel.
    »Wann?«, fragt Morus.
    Ein Seufzen. »Es muss bald

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