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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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sich meine Mahnung zu Herzen und spricht leise.
    Etwas in mir möchte ihm alles erzählen. Er ist intelligent, er könnte Schlüsse ziehen, auf die ich bisher nicht gekommen bin. Und er ist schon einmal von denen im Stich gelassen worden, die für ihn verantwortlich waren. Er wird mir glauben, wenn ich ihm sage, dass es vielleicht gerade ein zweites Mal passiert.
    Ich lege die Hand, an der sich mein Salvator befindet, auf den Rücken und gebe ihm durch eine Geste zu verstehen, er soll das Gleiche tun. »Kannst du dir irgendeinen Grund vorstellen, warum man dich für einen Verräter halten könnte?«
    Irritiertes Blinzeln. Tycho antwortet nicht gleich, sondern wägt die Frage genau ab, um am Ende den Kopf zu schütteln. »Für unvorsichtig schon«, meint er. »Für jemanden, der die Regeln nicht immer ernst nimmt. Aber nicht für einen Verräter.« Das Wieso spricht er nicht aus, aber es steht ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Kann sein, dass es trotzdem jemand tut. Offenbar gibt es Hinweise, dass du Teil einer Verschwörung bist, die den gesamten Sphärenbund bedroht.«
    »Wer hat das gesagt?« In seiner Stimme liegen weder Angst noch Unglaube, nur ehrliches Interesse.
    Ich werde auf keinen Fall Namen nennen. »Jemand, der genug Macht hat, um dich hinrichten zu lassen.«
    Das Wort lässt seine Augen groß werden. »Ich habe nichts mit einer Verschwörung zu tun!«, beteuert er, diesmal ein wenig zu laut für meinen Geschmack.
    »Schhh. Okay, etwas anderes: Wann hast du Jordans Chronik gelesen?« Es ist ein Bluff, aber ich will ihm eine spontane Reaktion entlocken.
    Tycho stutzt und denkt nach. »Habe ich gar nicht. Sollte ich? Ist das ein Standardwerk?«
    Ich schüttle leicht den Kopf. »Nein, schon gut. Aber denk noch mal genau nach. Es muss einen Grund geben, wieso du verdächtigt wirst. Wenn dir etwas dazu einfällt, egal was, dann –«
    Er legt den Kopf schief. »Du auch, nicht wahr? Dich halten sie auch für eine Verräterin.«
    Es muss die Dringlichkeit in meiner Stimme gewesen sein, die ihn die richtigen Schlüsse hat ziehen lassen. Ein cleveres Kerlchen, keine Frage.
    Ich streite es nicht ab und er nickt. »Wer noch? Ah, deshalb hast du mich nach Dantorian gefragt. Das ist doch aber lächerlich. Was soll er schon groß tun? Die Sphärenwände rot pinseln, damit die Prims leichter darauf zielen können?«
    Ich muss lachen, es fühlt sich gut an. »Ich weiß es nicht. Genau das ist das Problem. Ich habe keine Ahnung, was sie uns vorwerfen, denn niemand stellt uns zur Rede.« Ich drücke den Arm mit dem Salvator fester gegen meinen Rücken, reibe ihn gegen den Stoff meines Hemdes. Das müsste für Störgeräusche sorgen.
    »Es ist gut möglich, dass es dabei bleibt«, fahre ich fort. »Dass es keinen Prozess gibt, nichts dergleichen.«
    Tychos Zähne graben sich in seine Unterlippe, dann nickt er kurz. »Nur eine Hinrichtung also.«
     
    Drei Minuten später trennen wir uns. Ich habe ihm noch in kurzen Worten die Umstände geschildert, unter denen ich alles erfahren habe, und ihm gesagt, dass wir möglicherweise abgehört werden. Tycho hat es zur Kenntnis genommen, ohne Gegenfragen zu stellen, ohne ungläubig oder panisch zu reagieren. Nur aufmerksam.
    Den Nachmittag verbringe ich im Sprachzentrum der Akademie. Ich übersetze vom Russischen ins Spanische und zurück, denke mit Wehmut daran, dass ich mich für Schwedisch-Lektionen angemeldet habe. Meine zwölfte Fremdsprache, die zu lernen ich vermutlich nicht mehr die Zeit haben werde. Einmal mehr rufe ich mir die Stimme des Fremden ins Gedächtnis, die Art, wie er das Wort getötet ausgesprochen hat. Ich weiß, dass ich es gehört habe, trotzdem zweifle ich zwischendurch an meiner Erinnerung, denn um mich herum ist alles wie immer. Die Studenten, die über ihren Datenterminals brüten, das leise Summen der Belüftung, das fahle Licht, das durch die Kuppelscheiben fällt. Ich weiß, was mich bedroht, und kann es dennoch nicht glauben. Aber das ist ein Fehler, ich darf der Normalität nicht auf den Leim gehen, sondern muss aufmerksam sein, aufmerksamer als je zuvor.
     
    Am frühen Abend werde ich ins Medcenter gerufen, neue Nahrung für mein Misstrauen. Man könnte meine Tötung als medizinischen Unfall inszenieren – eine falsche Injektion, ein fehlerhaft dosiertes Medikament und die Todesliste schrumpft auf fünf.
    Was können sie von mir wollen? Ich war gestern erst dort, seitdem habe ich keinen Alarm mehr ausgelöst, habe mich nach Vorschrift ernährt und

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