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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Schülerin.
    Die Linsen schwimmen in Vitaminlösung, aber ich esse sie bis auf den letzten Bissen auf.
    Es stört nur die Zunge, nicht den Magen, hat Baja immer gesagt, wenn sie uns mithilfe des Notprogramms ernähren musste. Ich befehle meiner Zunge, sich nicht so anzustellen.
    Während ich einen Löffel nach dem anderen in mich hineinschiebe, ruht Aureljos Blick unverwandt auf mir. »War das eben nicht Fleming, mit dem du gesprochen hast?«
    Ich nicke. Wieder hängt etwas unausgesprochen in der Luft und ich wünschte, ich könnte so frei sprechen, wie ich es bis gestern getan habe.
    »Worüber habt ihr euch unterhalten?«
    »Über nichts. Wir sind nur fast zusammengestoßen.« Das ist die reine Wahrheit. Was auch immer es war, das ich in Flemings Augen zu sehen geglaubt habe.
    Der Teller ist leer und die Linsen liegen schwer in meinem Magen, ein klebriger, vitamingetränkter Klumpen. Den halben Apfel werde ich später essen. »Ich gehe in mein Quartier und lege mich schlafen.«
    Tomma schließt sich mir an, wir wohnen nur wenige Türen voneinander entfernt. Während ich meine Schritte zähle und schweige, wirkt sie wie aufgedreht. Sie erzählt von kältebeständigem Weizen und einem neuen Düngemittel, das ihn schneller wachsen lässt. Ich höre ihr nicht richtig zu, viel lieber würde ich mit ihr über die Liste sprechen und ihr ungläubiges Gesicht betrachten, wenn sie erfährt, dass der Sphärenbund ihr zutraut, dass sie sich mit den Prims verbündet hat.
    Die beiden Sentinel am Eingang zu den Quartieren winken uns durch, freundlich wie immer. Ich erwidere ihren Gruß und schwöre mir, dass das die letzten Worte sein werden, die ich heute spreche – mein ganzes Gesicht schmerzt davon, es locker und gelöst erscheinen zu lassen.
    Ich falle auf mein Bett. Es ist noch früh, das Licht, das von draußen hereinfällt, ist hellgrau.
    Auf dem Nachttisch liegt mein Datenterminal. Den Katalog der Bibliothek aufzurufen und Jordans Chronik einzugeben wäre eine Sache von Sekunden. Wenn das Buch im Verzeichnis aufgelistet ist, finde ich eine Kurzbeschreibung, Informationen über den Autor und die Leihbedingungen. Aber ich hinterlasse auch eine Spur. Jeder Suchvorgang wird aufgezeichnet, unverschlüsselt. Wenn Gorgias davon Wind bekommt, muss er nur noch zwei und zwei zusammenzählen und weiß, dass ich das Gespräch mit dem Fremden belauscht habe.
    Nein. Es muss einen anderen Weg geben, Genaueres herauszufinden.
    Immer noch halte ich den halben Apfel in der Hand. Eine der Geschichten, die uns Baja oft vor dem Schlafengehen erzählt hat, handelte von einem Mädchen, das an einem Apfel starb. Ihre Ziehmutter hatte ihn vergiftet, weil sie das Mädchen zu schön fand.
    Ich lege den Apfel auf den Nachttisch, direkt neben das Datenterminal.
    Schneewittchen hieß die Geschichte, und so vertraut mir Schnee von klein auf war, so merkwürdig erschien mir das Wort Wittchen. Jahrelang habe ich mich gefragt, was es wohl bedeuten mochte. Als ich begann, Fremdsprachen zu lernen, fiel mir die Ähnlichkeit zum englischen witch, also Hexe, auf. Ein Schneehexchen, vergiftet von denen, die es aufzogen.
    Ich glaube nicht, dass ich den Apfel essen kann.
     
    Die beiden nächsten Tage verstreichen zäh und träge, als wären sie zu erschöpft, um die Zeit in normalem Tempo ablaufen zu lassen. Doch vermutlich bin ich es, die erschöpft ist.
    Grauko peitscht mich durch zwei Stunden Umstimmung und Überredung. Er hält dabei so hart dagegen, dass ich mich am Ende der Lektion, um nicht umzukippen, auf den Boden setze und den Kopf zwischen die Knie stecke.
    »Es war gut« ist alles, was er sagt. »Zwei Punkte diesmal für dein Durchhaltevermögen.«
    Ich nicke, den Kopf immer noch gesenkt. Ich fühle mich, als wäre ich einen halben Tag lang durchs Freie gelaufen.
    »Ria?«
    Ich hebe den Kopf.
    »Etwas ist anders, nicht wahr?«
    Ich möchte es ihm sagen, mit allem herausplatzen, was mir auf der Seele liegt. Sein vertrautes Gesicht mit den Fältchen in den Augenwinkeln, dem Bart, in dessen Schwarz sich erste graue Spuren mischen. Dem klügsten Blick, den ich je bei einem Menschen gesehen habe.
    Ich wähle die Worte meiner Antwort sehr sorgfältig. »Das ist möglich, aber ich bin nicht sicher.«
    Seine Augen werden schmal, bei Grauko ein untrügliches Zeichen von gesteigerter Aufmerksamkeit. »Oft sind es Veränderungen im Innern, die uns am übelsten zusetzen.«
    »Ja. Und manchmal stoßen äußere Ereignisse das Innere so heftig an, dass es den Halt

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