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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Tycho für ein paar Minuten entführen, ich habe eine Aufgabe für ihn.« In meinem Gesicht sollte nichts als Unbeschwertheit zu lesen sein, gemischt mit ein wenig Ungeduld. Es soll wirken, als würde ich Tycho holen, um ihn zu einem der Sonderdienste einzuteilen – das dürfen die älteren Studenten. Dementsprechend grinsen die anderen mitleidig, als ich den Ärmel seines hellblauen Studentenhemdes packe und ihn von seinem Stuhl ziehe, hinaus aus der Mensa.
    Tycho protestiert nicht, gibt keinen Ton von sich. Das muss die Verblüffung sein. Erst als wir den Weg zu den Sporträumen einschlagen, beginnt er, sich zu wehren.
    »He! Lass mich los, 7.«
    »Keine Chance.« Ich zerre ihn weiter, bis die metallischen Geräusche der Trainingsgeräte störend werden. Außerdem dringt Musik bis auf den Gang hinaus – bestens.
    Ich bleibe stehen, drehe Tycho zu mir herum und packe ihn an den Schultern. »Worüber hast du gerade gesprochen?«
    »Was?«
    »Die Schaltung, die die Kuppeln miteinander verbindet, und was passiert, wenn man einen Sensor außer Betrieb setzt.«
    Er grinst schief. »Ich habe zwei technischen Nieten das Heizsystem der Sphären erklärt.«
    »Und ihnen beigebracht, wie man es sabotiert?«
    Jetzt begreift er, worauf ich hinauswill. »Sabotiert? Quatsch! Ich habe nur deutlich gemacht, wo die Schwachstellen sind.« Seine Augen werden schmal. »Das ist Lernstoff, übrigens. Ich staune, dass du das nicht weißt, 7.«
    »Ich habe keine technischen Fächer belegt. Und ich heiße Ria, 89.«
    » Noch 89.« Er streckt sich ein wenig. »Bei den nächsten Leistungsproben springe ich mindestens fünf Plätze vor, wenn nicht mehr.«
    Ich sehe ihn an, ohne zu lächeln. »Vielleicht.«
    »Nein, das steht fest.«
    »Nichts steht fest.« War es sein unvorsichtiges Geschwätz, das ihn auf die Liste der angeblichen Verschwörer gebracht hat? Aber wieso dann auch Aureljo, Tomma, Fleming und mich?
    Ich senke meine Stimme. »Kennst du jemanden, der Dantorian heißt?«
    »Ja«, antwortet Tycho, ohne zu zögern. »Keine Gefahr für mich. Oder dich. Er schreibt Gedichte, erforscht alte Worte und malt merkwürdiges Zeug. Die Mentoren finden ihn großartig. Ein zweiter Picann, sagen sie.«
    Das ist ganz schön hoch gegriffen. Picann gilt als Genie, er ist der Künstler, der die Lange Nacht für die Nachwelt festgehalten hat. In Bild und Sprache.
    Wenn es stimmt, was Tycho sagt, wird die Sache immer rätselhafter. Sollte Dantorian wirklich ein solches Ausnahmetalent sein, würde der Bund ihn nicht so einfach opfern. Keinen Künstler, die gelten als völlig harmlos, als bunte Vögel. Sie würden ihn umerziehen lassen oder notfalls in den Norden schicken, bis er seinen Fehler einsieht, aber sie würden sein Talent nicht einfach zerstören.
    Tycho regt sich in meinem Griff, er versucht, seine Schultern aus meinen Fingern zu befreien, lässt es aber bleiben, als ich den Kopf schüttle. Die Geräusche der Trainingsgeräte zerhämmern metallisch meine Gedanken.
    »Was hast du gemeint mit ›Nichts steht fest‹?«, versucht Tycho sie zu übertönen.
    »Leise!«
    »Aber –«
    »Sprich leise, okay? Wie lange bist du schon an der Borwin-Akademie?«
    Er antwortet nicht gleich, sondern studiert mein Gesicht. In seinem Blick liegt Vorsicht, was generell gut ist.
    »Seit etwas mehr als fünf Monaten.«
    »Wo warst du vorher?«
    »An der Wittgenstein-Akademie. Sphäre Neu-Aachen.«
    Eine Akademie mit gutem Ruf. Sie zu absolvieren genügt im Allgemeinen für einen hohen Posten. Dass sie Tycho trotzdem zu uns versetzt haben, bedeutet, dass sein Können weit über dem Durchschnitt liegen muss.
    »Hast du Kontakte zu Außenbewohnern?«
    Sein Kopf zuckt eine Winzigkeit nach oben, ich muss einen wunden Punkt getroffen haben. Als ich ihn an seinem Hemd näher zu mir ziehe, sträubt er sich.
    »Hast du?«
    »Nein!«
    Ich glaube nicht, dass er lügt, aber er verschweigt etwas. In seinen Augen steht Trotz. Wieso? Ich brauche einen Moment, dann begreife ich.
    »Du bist kein Vitro.«
    Wieder versucht er, sich aus meinem Griff zu winden, und diesmal lasse ich es zu.
    »Ja. Na und? Ich stecke euch trotzdem alle in die Tasche.«
    Ich habe noch nie zu denen gehört, die die Aufgelesenen für Sphärenbürger zweiter Klasse halten. Ich denke an das schreiende Mädchen, das ich vor wenigen Tagen in den Armen gehalten habe, und überlege, wie alt Tycho wohl war.
    »Was soll die Fragerei?« Er hat sich gefangen und geht zum Gegenangriff über. Aber immerhin nimmt er

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