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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Ordnung?«
    »Ja.« Ich suche mir einen unbesetzten Stuhl. Heute scheinen Linsen Hauptbestandteil des Abendessens zu sein. »Es ging nur um mein Gesicht.«
    Er atmet erleichtert aus und ich weiß, seine Gedanken sind die gleichen wie meine vorhin, aber in Kürze wird ihm dämmern, welche Bedeutung die geplante Operation noch haben könnte.
    »Mach dir keine Sorgen.«
    Ich drehe mich um und da steht Tomma, lächelnd und ahnungslos.
    »Sie werden dich nicht verunstalten, keine Angst. So etwas passiert ihnen nicht.«
    Ich brauche einen Moment, um aus meinen Gedanken aufzutauchen und zu antworten. »Natürlich. Das weiß ich doch.«
    »Warum siehst du dann so nervös aus?«
    Blitzschnell kontrolliere ich meine Gesichtszüge und korrigiere sie. Hebe die Mundwinkel und lege Aufmerksamkeit in meinen Blick. »Wie kommst du darauf, dass ich nervös bin?«
    »Deine Hände«, erklärt Tomma. »Du knetest sie, als würde dich etwas beschäftigen.«
    »Ich versuche nur, sie zu wärmen«, entgegne ich lächelnd, während in meinem Kopf alle Alarmglocken schrillen. Eine solche Situation, egal wie bedrohlich sie auch sein mag, darf mich nicht so sehr aus der Bahn werfen, dass ich meine Körpersignale nicht mehr unter Kontrolle habe. Ich knete meine Finger und merke es nicht, meine Güte, für diesen Fehler hätte Grauko mir schon vor fünf Jahren Sonderlektionen aufgebrummt.
    »Ich muss etwas essen, dann wird mir sicher wärmer«, sage ich und stelle mich in der Schlange vor dem Lesegerät an. Offenbar verbrauche ich durch meine ständige Anspannung massenhaft Energie, denn neben den Linsen gesteht mir der Ausgabecomputer sogar einen halben Apfel zu, plus ein Glas Vitaminlösung.
    Auf dem Weg zurück zum Tisch laufe ich beinahe in einen großen, sehr schlanken Studenten hinein, erkenne ihn aber erst, als ich abrupt stehen bleibe, um einen Zusammenstoß zu verhindern, und er mit einer schnellen Handbewegung mein Glas vor dem Umkippen rettet.
    Fleming. Die Nummer 32. Wir kennen uns flüchtig, haben schon gemeinsam Blutkonserven sortiert, aber im Moment kommt mir die Beinahe-Kollision wie ein irrwitziger Zufall vor.
    Du sollst auch sterben, wusstest du das schon?
    »Danke«, murmele ich heiser.
    »Gern geschehen.« Er hält mein Glas ein wenig länger fest als notwendig und sieht mich unverwandt an. Als würde er etwas in meinem Gesicht suchen. Oder als wollte er mich etwas fragen, ohne die richtigen Worte zu finden.
    Sein Zögern ist es, das mich denken lässt: Er hat ebenso viel Angst wie ich. Er kennt die Todesliste, er weiß, dass sein und mein Name darauf stehen. Deshalb der Blick, der eine Verbindung schaffen oder eine stumme Frage stellen soll: Weißt du es?
    Vielleicht habe ich aber auch bloß noch Marker im Gesicht, dort, wo die Chirurgin mit zartem Grün Linien gezogen hat, probehalber. Ich habe sie abgewaschen, trotzdem ist möglicherweise etwas davon übrig geblieben.
    Fleming nickt mir zu und wirkt enttäuscht, wenn ich seinen Ausdruck richtig lese – ich traue mir heute nicht mehr über den Weg, schließlich knete ich auch meine Hände, ohne es zu merken.
    Er wendet sich ab und geht zu einem der hinteren Tische, wo Ärzte in Ausbildung und Studenten gemeinsam ihr Essen einnehmen. Meistens unterhalten sie sich dabei lautstark über ihre Vorgesetzten oder über Forschungsergebnisse.
    Sie kommen ins Gespräch mit Patienten, die zur Behandlung von weit her angereist sind, und das macht die Mediziner zu einer der bestinformierten Gruppen in der Sphäre. Hat einer von ihnen etwas von einer Verschwörung erwähnt? Weiß Fleming deshalb davon?
    Wenn er überhaupt etwas weiß. Womit ich wieder am Anfang stehe.
    Ich muss endlich aufhören, meine Gedanken im Kreis rotieren zu lassen.
    Der Weg zurück zu unserem Tisch kommt mir unendlich lang vor und ich stelle fest, dass meine Konzentration immer noch nicht ganz das ist, was sie einmal war, denn ich übersehe einen Klacks Linsen auf dem Boden, trete hinein und falle beinahe hin.
    Aureljo springt auf und nimmt mir mein Tablett ab. Der Saft ist übergeschwappt und hat sich zu einem guten Teil über den Teller ergossen, und obwohl das keine Katastrophe ist, spüre ich, wie mir Tränen in die Augen steigen.
    Ich dränge sie zurück. Denke an Eis, Nacht und Frost. Ziehe die Kälte in mein Inneres. Vor fünf Jahren rutschte eine Studentin von Platz 11 auf Platz 42 ab, wegen eines Weinkrampfs mitten in einem Vortrag über Schmelzwasserkraftwerke.
    Ich bin nicht so. Ich bin Graukos beste

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