Die Verratenen
ab, sie haben mir extra neue Medikamente gegeben. Stell dir vor, ich hätte nicht mitfahren können, nur wegen einer laufenden Nase!«
Das hätte dir vielleicht das Leben gerettet.
Als sie endlich ins Untersuchungszimmer gerufen wird, ist die Einsamkeit und Stille eine wahre Erlösung.
Kurz vor der zweiten Blutabnahme finde ich mich mit Aureljo allein im Warteraum wieder. Er sieht müde, aber zufrieden aus – das werde ich gleich ändern. Hier ist zwar nicht der ideale Ort, aber ich weiß nicht, ob sich vor unserer Abreise noch eine weitere Gelegenheit für ein Gespräch ergibt. Also falle ich ihm um den Hals und bringe meinen Mund ganz nahe an sein Ohr.
»Es ist eine Falle«, flüstere ich so leise, dass ich mich selbst kaum verstehe. »Sie wollen uns töten. Du musst mir glauben.«
Seine Hand streicht über mein Haar, bleibt in meinem Nacken liegen. Ich fühle seine Lippen an meinem Ohr. »Das kann nicht sein.« Seine Stimme ist wenig mehr als ein Hauch. »Es gibt eine offizielle Bestätigung von vier Sphären, deren Meister ebenfalls zu dem Treffen kommen. Ich habe die Dokumente selbst gesehen. Sie können uns nicht einfach an einen anderen Ort schaffen, wenn es das ist, was du befürchtest.«
Aureljos Nähe ist tröstlich, sein Geruch beruhigt mich, es wäre so schön und bequem, mich überzeugen zu lassen. Mich auf die Reise zu freuen und dem Sphärenbund zu vertrauen, so wie ich es bisher immer getan habe.
»Trotzdem«, wispere ich. »Die Reihungsnummern sind identisch mit denen, die der Fremde genannt hat – das ist doch kein Zufall! Sie werden einen Weg finden. Sie sind nicht dumm. Ich weiß, was ich gehört habe.« Sollte uns jetzt jemand sehen, muss er uns für unfassbar verliebt halten. Wir drücken uns so eng aneinander, dass wir kaum atmen können. Für den Fall, dass tatsächlich ein verborgenes Kameraauge auf uns gerichtet ist, lächle ich, als würde Aureljo mir ein Liebesgeständnis nach dem anderen zuflüstern.
»Du hast dich geirrt«, haucht er. »Das, was du gehört hast, hat sich sicherlich auf die Reise bezogen.«
Allmählich fällt es mir schwer, mein Lächeln aufrecht zu halten. »Wie kann man sich bei den Worten ›Die Betreffenden müssen getötet werden‹ irren? Gorgias war entsetzt, Morus hat lange widersprochen. Aber sie wissen nicht, dass ich das Gespräch belauscht habe. Das ist unser Vorteil, wenn wir den nicht nutzen –«
Die Tür geht auf und zwei Ärzte treten ein. Mir ist plötzlich heiß. Habe ich zu laut gesprochen? Nein, ich glaube nicht. Beide sehen ebenso freundlich aus wie noch vor fünf Minuten, als sie meine Lungenfunktion kontrolliert haben.
Ich mache mich von Aureljo los, obwohl ich viel für seine Reaktion auf meinen letzten Einwand geben würde.
»Ria, du bist wieder an der Reihe«, sagt einer der Ärzte. »Aber keine Sorge, es dauert nicht mehr lange.«
Alles in allem sind es aber doch noch zwei Stunden, bis ich das Medcenter verlassen kann.
»Du bist völlig gesund«, sagt der Arzt zum Abschied. »Du kannst deine Reise beruhigt antreten.«
Beinahe hätte ich gelacht.
Ich setze meine Hoffnung in das Abschiedsdinner, das für uns gegeben wird, vielleicht kann ich kurz mit Tycho sprechen oder mit Fleming. Noch lieber würde ich Tomma warnen – sie würde mir glauben. Und zusammenbrechen. Sie hat ihre Emotionen schon bei weit harmloseren Ereignissen nicht im Griff.
Doch sie platzieren uns jeweils neben Mentoren und Würdenträgern der Sphäre; mir wird der Platz zwischen einer Klimatologin und dem Leiter der Versorgungsabteilung zugeteilt. Beide kenne ich kaum und die Gespräche, die sich während des Essens ergeben, sind kurz und verkrampft. Vier Stühle weiter sitzt Fleming, der erneut einen nervösen Eindruck auf mich macht. Ich würde rasend gerne in der Nähe sitzen, denn sein Tischnachbar zur Linken ist Morus, der immer wieder das Wort an ihn richtet.
Mein Seminar in Lippenlesen ist fast zwei Jahre her, ich könnte aber trotzdem einiges von dem Gespräch zwischen Morus und Fleming aufschnappen, wenn nicht ausgerechnet jetzt die Klimatologin ein Thema gefunden hätte, mit dem sie dem Schweigen in unserer Ecke ein lautstarkes Ende bereitet. Ich höre ihr nur mit halbem Ohr zu, als sie darüber zu dozieren beginnt, dass die Sonnenstunden rund um die Sphäre Zukunft so viel häufiger seien als hier bei uns.
Dass ich immer wieder »Tatsächlich?« und »Wie interessant!« einwerfe, wenn sie Luft holt, scheint ihr völlig zu genügen, sie
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