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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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den Hals und deutet ebenfalls nach oben. »Sieh nur. Wie schön. Wie schön!«
    Ich bin versucht, sie daran zu erinnern, dass sie unsere Sphäre erst verlassen wollte, wenn die letzten Prims ausgerottet sind, aber ich spare mir die Luft. Es spielt keine Rolle. Sie sieht die Bahn, die Sentinel und fühlt sich sicher. Ich atme gegen mein schlechtes Gewissen an. War es unverantwortlich, Tomma nicht zu warnen?
    »Lass uns einsteigen.« Sie packt meinen Arm.
    »Einen Moment noch.« Ich muss den Gedanken loswerden, dass ich gleich freiwillig meinen Sarg besteigen werde, meinen madenförmigen Sarg.
    Wenn ich weglaufen könnte. Fliehen. Die Idee war in den letzten Tagen immer wieder mein Begleiter, aber sie lässt sich nicht verwirklichen. Wer fliehen will, braucht einen Ort, den er ansteuern kann. Doch als Verräterin würde jede Sphäre mich sofort ausliefern. Die ganze bewohnbare Welt würde meinen Tod wollen.
    Es muss bald geschehen.
    Es wird bald geschehen. Aber nicht hier, wo wir zu Hause waren.
    Fleming betritt die Station, einen Medpack auf dem Rücken. Nun warten wir nur noch auf Dantorian.
    Seine Verspätung erklärt sich kurz darauf aus der riesigen Mappe, die er trägt. »Meine vier besten Gemälde«, keucht er. »Der Präsident soll es nicht bereuen, mich eingeladen zu haben.«
    Das ist der Moment, in dem meine Fassade beinahe einen Riss bekommt. Dantorian schleppt freudig Geschenke mit für den Mann, der seinen Tod befohlen hat. Hätte meine Wut Masse und Gewicht, würde sie die Hermetoplastwände der Kuppel über uns durchbrechen.
    Aber die ganze Zeit über bleibt das vorfreudige Lächeln in meinem Gesicht. Ich habe keinen Ausweg gefunden. Ich muss in diese Bahn einsteigen. Wir alle müssen. Und wir tun es nicht schreiend und um uns tretend, sondern mit einem Lachen – aus Unwissenheit oder weil uns nichts anderes übrig bleibt.
    In der Bibliothek steht ein altes Buch, so alt, dass es niemand ausleihen darf. Darin sind Bilder von Menschen in rüschenbesetzten Gewändern, die auf ein Schafott steigen, wo ihnen mittels eines besonderen Geräts der Kopf abgeschlagen wird.
    Wie das Gerät hieß, habe ich vergessen, aber ich habe die Bilder vor Augen und kann mir vorstellen, wie sich die Verurteilten gefühlt haben müssen.
    Bevor ich als Letzte die Treppe zur Magnetbahn betrete, sehe ich mich noch einmal um. Die Station ist so gut wie leer. Normalerweise gibt es bei Anlässen wie diesem ein Abschiedskomitee, aber wir brechen zu früh am Morgen auf. Und sollen ja in einer Woche wieder hier sein.
    Das Innere des Waggons ist komfortabel eingerichtet: dunkelblaue Polstersessel, die sich drehen lassen, kleine Tische, auf denen schon Getränke bereitstehen.
    Vier Sentinel mit goldenen Kragen salutieren vor uns. »Das Wetter ist gut, es sind keine Stürme prognostiziert. Wenn es so bleibt, werden Sie sogar Sicht auf einige Flüsse und Seen haben«, erklärt der ranghöchste.
    Ich forsche in seinem Gesicht nach dem Hinterhalt, in den er uns gerade lockt, aber der Mann scheint ehrlich zu sein. Da ist er wieder, der Funken Hoffnung: Vielleicht ist ja alles in Ordnung. Sie tun es nicht jetzt. Sie tun es später. Oder gar nicht.
    Tomma prostet mir mit einem Becher Vitaminsaft zu. Ich überlege, wann sie wohl aufgestanden ist, um sich eine solch aufwendige Frisur zu flechten.
    Im nächsten Moment frage ich mich, wieso ich mich mit derart unwichtigen Dingen beschäftige.
    Wir lenken uns mit Nebensächlichkeiten ab, um Unerträgliches auszuhalten, hat Zilla mir mal erklärt. Das muss es sein. Würde ich mich auf die Anspannung in meinem Innern konzentrieren, müsste ich die blauen Sessel vollkotzen.
    »Ich wünsche Ihnen allen eine wunderbare Reise«, sagt eine angenehme weibliche Stimme aus dem Deckenlautsprecher. »Schenken Sie mir bitte kurz Ihre Aufmerksamkeit, es folgt eine Erklärung der Sicherheitsbestimmungen. Die Magnetbahnen sind auf dem neuesten Stand und werden regelmäßig gewartet. Sollte es dennoch zu einer Panne kommen, bleiben Sie ruhig, es kann Ihnen nichts geschehen. Warten Sie, bis Sicherheitspersonal zu Ihnen stößt, und folgen Sie den Anweisungen. Verlassen Sie keinesfalls die Bahn. Ich wiederhole: Verlassen Sie keinesfalls die Bahn! Außerhalb ist es uns nicht möglich, für Ihre Sicherheit zu garantieren. Die Bewohner des Sphärenumlands sind uns nicht immer freundlich gesinnt. Ein Aussteigen ist nur in dem unwahrscheinlichen Fall gestattet, dass Feuer im Wagen ausbricht. Durch das Ziehen an einem der

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