Die Verratenen
er auf Gorgias’ Wink hin das Podium betritt.
»Der Zweite«, fährt der Rektor fort, »gehört ebenfalls zu den Studenten, die der Akademie bisher nur Ehre gemacht haben.«
Das wird Tudor sein, denke ich und sehe noch einmal zu ihm hinüber. Er hat seine Haltung nicht verändert, hat aber aufgehört, mit dem Fuß zu wippen, und lässt Gorgias keine Sekunde aus den Augen.
»Gemeinsam mit Aureljo tritt eine künftige Koryphäe des Medcenters die Reise an, ein Forscher mit untrüglichem Gespür: Nummer 32, Fleming!«
Mein Körper begreift die Zusammenhänge schneller als mein Verstand, in meinen Ohren beginnt es zu rauschen. Gleich wird mein Salvator zu vibrieren beginnen, doch das macht nichts, die Aufregung hat bereits einige Geräte im Raum zum Piepsen gebracht.
Zwei Auserwählte bisher und beide stehen nicht nur auf der Liste des Präsidenten, sondern auch auf der des Fremden.
Etwas steigt meine Kehle hoch und ich schlucke es schnell hinunter. Vielleicht ist das bloß ein Zufall. Gleich wird Gorgias Tudors Namen aufrufen und ich werde mich beruhigt zurücklehnen können.
Fleming ist auf die Bühne getreten und sein Anblick lässt mich an unseren Zusammenstoß in der Mensa denken, an das, was ich dabei dachte: Er hat ebenso viel Angst wie ich. In seinem Gesicht ist nichts von der Freude zu entdecken, die Aureljo ausstrahlt. Im Gegenteil, er ist blass und wirkt, als müsste er sich mit aller Kraft zurückhalten, um nicht wegzulaufen.
»Nicht nur männliche Studenten haben die Aufmerksamkeit des Präsidenten erregt.« Gorgias’ Blick gleitet über die Reihen. »Auch einer Studentin, die Außergewöhnliches auf dem Gebiet der Botanik leistet, möchte er gern die Hand schütteln. Nummer 65: Tomma!«
Der schrille Entzückensschrei, den Tomma ausstößt, übertönt mein dumpfes Aufstöhnen. Die anderen applaudieren und streifen die vermeintlich Glückliche mit teils anerkennenden, teils neidvollen Blicken.
Es hat keinen Sinn, sich länger etwas vorzumachen. Sie schicken uns fort, damit der Fremde mit der rauen Stimme sich um uns kümmern kann. Bald.
Ich friere, es ist, als hätte mich jemand in eisiges Wasser getaucht. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu zittern beginne. Die Stimmen, die Geräusche dringen nur noch dumpf bis zu mir durch. Die Nächste werde ich sein. Oder Dantorian.
Oder Tycho. Unsere Blicke begegnen sich und ich sehe den Schrecken in seinen Augen, gepaart mit Misstrauen, das mir gilt. Er erkennt die Übereinstimmung ebenfalls. Die Angst, die Tycho jetzt wie Strom durch die Venen fährt, hat er mir zu verdanken. Ich bin die Überbringerin der schlechten Nachricht. Aber wer sagt ihm, dass sie nicht falsch ist?
Ich wünsche es mir selbst so sehr, dass es schmerzt.
»… ein junger, außerordentlich vielversprechender Student«, sagt Gorgias gerade. Der Anfang des Satzes ist mir entgangen, das ist nicht gut. Ich muss mich konzentrieren, auf das, was er sagt und wie er es sagt. Liegt Hinterhältigkeit in seinem Ton? Steht irgendwo in seinem Gesicht Bedauern geschrieben, darüber, dass er uns belügt, wahrscheinlich, um uns zu töten?
»Sein technisches Verständnis ist ein Geschenk für uns alle und wir hoffen, dass er den Sphärenbund um einige Erfindungen bereichern wird. Nummer 89: Tycho!«
Ohne es zu merken, habe ich meine Hände gehoben und schlage sie gegeneinander, stimme in den Applaus der anderen ein. Ich spüre meine Handflächen kaum.
Tycho ist aufgestanden und geht auf das Podium zu. Seine Fäuste öffnen und schließen sich immer wieder. In sein Gesicht hat er ein Lächeln gegraben, seine Lippen spannen sich starr über den Zähnen. So anders als vorhin, als er für seinen Punktegewinn ausgezeichnet wurde.
Ich versuche, Aureljos Gesichtszüge zu lesen, doch er ist zu weit entfernt und sein Kopf liegt im Schatten einer Säule. Seiner Körpersprache nach ist ihm aber nicht ganz wohl zumute. Er verschränkt die Arme vor der Brust, dann lässt er sie hängen, nur um sie Sekunden später wieder zu verschränken.
»Wer wird der Nächste sein?« Gorgias senkt das Papier und lässt seinen Blick wieder durch den Saal schweifen. »Oder die Nächste?« Sein Lächeln wird breiter. »Tatsächlich, es ist ein Mädchen, dem das Privileg zukommt, dem Präsidenten persönlich gegenüberzutreten.«
Nun bin also ich dran.
Noch während Gorgias die Spannung in die Länge zieht, mache ich mich bereit aufzustehen. Und tue es beinahe, noch bevor mein Name fällt. Ich spüre den Ruck, der durch
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