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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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in gleichmäßigem Abstand zueinander, an der Spitze einer jeden ist etwas angebracht, eine merkwürdige Blüte mit drei sehr schmalen Blättern, die wie lang gezogene Speerspitzen geformt sind. Immerhin sind die Spitzen nicht uns zugewandt und die Säulen wirken alt. Beim Näherkommen sehe ich, dass zwei umgestürzt sind. Sie müssen aus der Zeit vor der Langen Nacht stammen.
    Tomma hat bereits einen der goldenen Sentinel danach gefragt. »Es heißt, damit wurde früher Energie gewonnen. Aus Wind«, erläutert er. »Es gibt heute noch Kraftwerke, die eine ähnliche Technik benutzen.«
    Das Thema lässt Tycho aus seiner Mattigkeit erwachen. Er betrachtet die Relikte aufmerksam und bittet Dantorian, sie zu zeichnen.
    Mein Blick hängt an den Blütensäulen, bis sie nicht mehr zu sehen sind.
    Mein Lammeintopf ist kalt geworden.

15
    Ich habe das Fleisch herausgepickt und die Pilze übrig gelassen, trotzdem ist mir etwas übel. Laut meinem Salvator sind wir seit fast fünf Stunden unterwegs und mir fällt erst jetzt auf, dass uns niemand gesagt hat, wie lange die Reise dauern wird. Meine Wachsamkeit ist jedoch aufgebraucht, die sanften Bewegungen der Magnetbahn machen mich immer müder.
    Tomma, erschöpft vor Begeisterung, ist bereits eingeschlafen, alle paar Minuten rutscht sie etwas tiefer in ihrem Sitz. Dantorian hat aufgehört zu zeichnen und starrt auf den immer gleichen Punkt zu seinen Füßen. Tycho brütet stumm vor sich hin, umklammert den Rucksack auf seinen Knien. Ab und zu huscht sein Blick zu mir, fragend.
    Fleming und Aureljo sind die Einzigen, die nach wie vor die vorbeifliegende Landschaft betrachten. Zwar hat die Sonne sich wieder hinter die übliche Wolkendecke verzogen, ihr graues Licht scheint nur noch auf die Berge am Horizont. Weiße Kolosse. Niemand von uns hat bisher echte Berge gesehen, in ihrer Umgebung werden keine Sphären gebaut, der Lawinen wegen.
    Aureljo zieht mich an sich. Erst denke ich, er will mir etwas sagen, doch er sieht mich nur lange an, bevor er sich wieder zum Fenster dreht. Einzelne Schneeflocken landen auf der Scheibe, verharren kurz und schmelzen.
    Ich lege meinen Kopf an Aureljos Schulter. Wenn ich die Augen schließe, nur ganz kurz, bedeutet das nicht, dass ich dem trügerischen Sicherheitsgefühl nachgebe, das mich allmählich umfängt. Es heißt nur, dass ich meine Kräfte einteile und mich ausruhe, solange Zeit dafür ist. Ganz kurz nur, höchstens zehn Minuten …
    Als ich die Augen wieder aufschlage, ist das Licht draußen matter geworden und das Innere meines Mundes fühlt sich pelzig an. Auf meinen Schläfen liegt ein leichter Druck, so, als wäre die Sauerstoffsättigung im Wagen zu niedrig.
    »Habe ich …«
    »Geschlafen, ja.« Aureljos Lippen berühren sanft meine Stirn. »Eine Stunde etwa. Aber du hast nichts verpasst, die anderen schlafen auch fast alle.« Drei, um genau zu sein. Tomma, Tycho und Dantorian. Fleming starrt aus dem Fenster, seine Augen sind gerötet.
    Ich versuche zu ergründen, was mich geweckt hat. Kein Geräusch jedenfalls.
    »Kann es sein, dass wir langsamer geworden sind?«
    »Das Gefühl habe ich auch.« Behutsam zieht Aureljo seinen Arm zurück, er muss inzwischen völlig taub sein.
    Die Magnetbahn hat an Fahrt verloren. Nicht sehr, aber doch so viel, dass es leichter ist, die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten. Da sind Bäume, viele, richtige kleine Wälder. Tomma wäre begeistert. Und direkt unter den Bäumen erkenne ich Flecken unbedeckter Erde. Im schwächer werdenden Licht scheinen sie hauptsächlich braun zu sein, aber da und dort glaube ich etwas Grünes zu entdecken.
    Auch wenn es nur Moos sein sollte, macht mich der Anblick glücklicher als jeder Punktegewinn. Wir sind gerade einen halben Tag unterwegs und schon scheint der Schnee nicht mehr unbesiegbar.
    In einiger Entfernung sind erneut Ruinen zu sehen, nicht sehr viele, aber genug, um auf die frühere Existenz einer kleinen Stadt schließen zu können. Ich versuche mir vorzustellen, wie es hier einmal ausgesehen hat. Lichter hinter Glasfenstern, Lichter an Fahrzeugen. Bäume, Sträucher, Gras. In der Luft Flugzeuge. Ich habe Bilder gesehen.
    Dorniges Buschwerk zieht vorbei, dazwischen immer wieder Bäume. Aureljo drückt meine Hand so fest, dass es beinahe schmerzt.
    Dann bleibt die Bahn stehen. Nicht ruckartig, sondern allmählich, sie gleitet langsamer und langsamer, bis sie absoluten Stillstand erreicht hat. Die Tür zum Triebwagen öffnet sich mit einem leisen

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