Die verschollene Flotte 04 - Gearys Ehre
wollte. Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht richtig.«
Kila wirkte nicht feindselig, sondern verwirrt. »Die fragliche Vorschrift ist eindeutig und lässt keine Ausnahmen zu.«
Andere am Tisch nickten bestätigend, und Commander Yin schien jeden Moment ohnmächtig zu werden.
Abermals reagierte er mit einem Kopfschütteln. »Bestimmt ist jeder Flottenoffizier immer noch mit der Flottenvorschrift 32 vertraut, oder? > In jeder Situation wird von einem Flottenkommandanten erwartet, ein eigenständiges Urteil zu fällen und die notwendigen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, ohne an den Wortlaut anderer Vorschriften gebun-den zu sein, sofern er damit nicht gegen Allianz-Gesetze oder gegen den Eid des Flottenkommandanten verstößt, die Allianz gegen jeden Feind zu verteidigen, ob er von außen oder aus den eigenen Reihen kommt.<«
»Aber war es die Absicht dieser Vorschrift, auch in solchen Fällen angewendet zu werden?«, fragte Captain Armus.
»Ich kann Ihnen versichern, das war die Absicht.« Geary ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. »Diese Vorschrift trat vor rund einhundertzehn Jahren in Kraft. Damals war ich ein Lieutenant, und ich wohnte den Besprechungen der Offiziere bei, die diese Vorschrift entwickelten.«
Captain Kila wollte wieder zum Reden ansetzen, überlegte es sich dann aber anders.
Zu Gearys Verwunderung meldete sich Cresida zu Wort.
»Sir, ich akzeptiere, dass Sie das Recht haben, in diesem Fall von den Vorschriften abzuweichen, aber ich verstehe nicht den Grund dafür. Warum gehen Sie so gnädig mit Offizieren um, die zum Verlust anderer Schiffe beigetragen haben?
Wenn sie der Warrior und der Majestic geholfen hätten, würden beide Schiffe vielleicht heute noch unter uns sein, ganz zu schweigen von den Kreuzern und Zerstörern, die bei der Verteidigung der Hilfsschiffe zerstört wurden.«
Diese Frage war völlig berechtigt. »Lassen Sie es mich so formulieren, Captain Cresida: Ich habe von einer Exekution der beiden Offiziere abgesehen, weil ich nicht gnädig gestimmt war.«
Erstaunen machte sich breit, und auch Cresida reagierte mit Ratlosigkeit. »Sie waren nicht gnädig gestimmt?«
»Nein.« Er sah Casia und Yin an. »Diese beiden Offiziere in die Arme ihrer Vorfahren zu schicken, würde bedeuten, dass ihr Leiden in dieser Welt ein Ende nimmt. Solange sie leben, werden sie immer wieder Offizieren und Matrosen begegnen, die ganz genau wissen, was sie getan haben. Solange sie leben, werden sie mit Leuten konfrontiert, die wissen, dass sie sich für die Feigheit entschieden haben.«
Langes Schweigen schloss sich an, nach einer Weile fragte Tulev: »Sind Sie sich sicher, Captain Geary, dass die beiden den Zorn und die Verachtung so deutlich spüren werden wie Sie und ich? Werden sie nicht vielmehr dankbar sein, dass ihr Leben zweimal verschont wurde - einmal durch ihre eigene Faulheit, zum anderen durch das Versagen der Todesstrafe?«
Auch wieder eine berechtigte Frage. Geary sah zu Casia, der ihm einen zornigen Blick zuwarf, und zu Yin, die zitterte und jeden Blickkontakt vermied. »Sehen die beiden in Ihren Augen dankbar aus?«
Armus musterte die zwei Offiziere. »Ich schlage vor, wir gewähren ihnen das Recht, sich zu äußern, Captain Geary.
Ich würde gern hören, was sie möchten.«
»Das ist eine angemessene Bitte, Captain Armus, und mit Blick auf Ihre Leistungen fällt es mir nichtschwer, sie Ihnen zu gewähren.« Armus war Geary mehr als einmal unangenehm aufgefallen, aber in der Schlacht hatte er gut und ehrbar gekämpft. Jetzt reagierte Armus mit praktisch unverhohlener Befriedigung, während Geary sich Casia zuwandte. »Also? Was halten Sie für eine angemessene Bestrafung?«
Casia schaute sich um, straffte die Schultern und drehte sich wieder zu Geary um. »Ich bestehe darauf, einem Flottenoffizier angemessen zu sterben. Sie nennen mich einen Feigling, und ich sehe, dass viele meiner Kameraden diese Ansicht teilen. Ich werde Sie alle widerlegen, wenn ich vor dem Erschießungskommando stehe.«
Noch eine Überraschung. Geary studierte die Mienen der anderen Offiziere, die dem Ansinnen zustimmten. Sie wollten es so.
Er sah einen Moment lang vor sich auf den Tisch und fragte sich, warum es ihm so schwerfiel, eine Entscheidung zu treffen, die den Vorschriften entsprach, die die Ehre verlangte und die nach Meinung aller Offiziere die einzig richtige war. Er hatte diese Flotte etliche Male ins Gefecht geführt und dabei den möglichen Tod seiner
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