Die verschollene Flotte 04 - Gearys Ehre
Flottenvorschriften? Sie weiß das! Was glaubst du, warum sie sich so unbehaglich fühlt, wenn das Thema zur Sprache kommt?«
»Es ist ihr gutes Recht, sich unbehaglich zu fühlen!«, gab Geary hitzig zurück. »Sie hat absolut nichts getan, was den Eindruck rechtfertigt, dass sie diese Absichten hegen könnte.«
Rione sah ihn eindringlich an. »Natürlich hat sie nichts getan! Das hast du auch nicht.«
»Was denn? Willst du mir jetzt auch noch Gefühle für sie unterstellen?«
»Oh, ich unterstelle gar nichts. Ich stelle nur fest! Es ist nicht zu übersehen, dass du lieber mit ihr zusammen bist als mit mir oder mit irgendwem sonst. Und sie erwidert diese Ge-fühle, wie du weißt.«
»Ich weiß überhaupt nichts«, fuhr Geary sie an. »Wir müssen zusammenarbeiten! Sie besitzt einen guten militärischen Verstand und gute Instinkte, und aus dem Grund möchte ich ihre Meinung hören. Wieso um alles in der Welt bist du über-
haupt eifersüchtig auf Desjani?«
»Weil du sie besser leiden kannst als mich, du Idiot! Wäre da nicht eure Ehre im Weg, die - wie ich unumwunden zugebe -
makellos ist, und wärt ihr beide nicht so ungeheuer pflicht-bewusst, dann könntet ihr nicht die Finger voneinander lassen. Und dann würde Desjani die gleichen Glücksgefühle empfinden, die sie sonst nur hat, wenn sie ein Syndik-Kriegsschiff zerstört. Und wenn dir das alles nicht bewusst ist, dann bist du noch oberflächlicher, als ich von einem Mann erwartet hätte!« Rione sah ihn wütend an, schien noch etwas anfügen zu wollen, fuchtelte dann aber nur frustriert mit den Händen und stürmte aus seinem Quartier.
Die offensichtlichste Erwiderung ging ihm erst durch den Kopf, als sich die Luke bereits hinter ihr geschlossen hatte.
Vielleicht kann ich sie besser leiden, weil sie mich anders als du nicht so
oft anbrüllt! Es war nutzlos, diesen Satz in den Raum zu stellen, wenn sie schon weg war. Er würde auch nicht hinter ihr her laufen, um es ihr zu sagen, und abgesehen davon war es vermutlich gar keine so kluge Bemerkung, was ihm sicher auch bewusst würde, sobald er sich wieder beruhigt hatte.
Zudem wusste er, dass eine absolut ehrliche Antwort anders aussähe. Ich mag Desjani, weil sie mich versteht. Auch wenn sie mich
für einen großen Helden hält, der in wichtiger Mission unterwegs ist,
scheint sie zu wissen, wer ich wirklich bin. Und weil wir so gut zusam-
menarbeiten, als ob wir instinktiv wüssten, was der andere braucht.
Wir mögen die gleichen Dinge, wir können miteinander reden. In ihrer
Gegenwart kann ich mich auf eine Weise entspannen, wie es mir bei
niemandem sonst gelingt. Das machte Desjani zu einem hervorra-genden Captain für sein Flaggschiff, zu einer angenehmen Gesprächspartnerin, mit der er sich gut unterhalten konnte, zu einer Frau, mit der er …
Verdammt!
Rione hat recht.
Eine Weile saß er da und versuchte zu überlegen, was er tun sollte. In gewisser Weise hatten sie ja schon darüber geredet.
Sie konnten nicht, und sie würden auch nichts tun, was für einen Befehlshaber und seinen untergebenen Offizier nicht angemessen war. Das bedeutete aber nicht, dass sie deshalb nicht weiter eng zusammenarbeiten könnten, denn gerade die jüngsten Ereignisse hatten gezeigt, wie wichtig ihr Beistand besonders in kritischen Situationen für ihn war. Allerdings musste er aufpassen, dass es nicht darüber hinausging, dass er sie nicht in einer Weise unter Druck setzte, die nichts mit ihrer Arbeit als Offizier dieser Flotte zu tun hatte. Sie hatte ihn nicht aufgefordert, etwas für sie zu empfinden, und er hatte kein Recht, das auch nur anzusprechen.
Dass Rione ihm vorgeworfen hatte, Desjani empfinde auch etwas für ihn, zählte nicht. Er konnte nicht davon ausgehen, dass das stimmte, und erst recht konnte er nicht so handeln, als ob es stimmte. Es wäre für alle Beteiligten besser, wenn diese Behauptungen nicht zutrafen.
Schließlich kam ihm in den Sinn, was diesen jüngsten Streit mit Rione ausgelöst hatte, und er rief die vorläufige Liste der Allianz-Angehörigen auf, die man von der Audacious gerettet hatte. Die Liste war erfreulicherweise sehr lang, dennoch wollte Geary sie nicht mit einer Aufstellung all jener Offiziere und Matrosen vergleichen, die sie in diesem Sternensystem verloren hatten. Und genausowenig wollte er im Moment länger darüber nachdenken, dass diese befreiten Gefangenen die Lücken würden schließen müssen, die die Schlacht auf den überlebenden Schiffen gerissen hatte.
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