Die verschollene Flotte 04 - Gearys Ehre
Also noch genügend Zeit für das Erschießungskommando, seine Arbeit zu erledigen, solange sie sich im Lakota-System befänden, was Geary Casia versprochen hatte. Dennoch kam ihm die verbleibende Zeit viel zu kurz vor.
Es kam ihm verkehrt vor, in seinem Quartier zu sitzen, während das Shuttle mit den Gefangenen und ihren Bewachern die Illustrious ansteuerte. Also begab Geary sich auf die Brücke und nahm neben Desjani Platz. Unwillkürlich fragte er sich, ob Colonel Carabali wohl genügend Freiwillige hatte finden können, um ein Erschießungskommando zusammenzustellen. Aber er wollte sie jetzt nicht danach fragen. Dazu fühlte er sich noch nicht bereit. Er wollte über diese ganze Angelegenheit nicht nachdenken, und doch war sie das Einzige, was ihm durch den Kopf ging.
Zehn Minuten später setzte ein Alarm ein.
»Unfall auf Shuttleflug Omicron Five One«, rief ein Wachhabender.
Geary war noch immer auf sein Display konzentriert, als Desjani erschrocken rief: »Das ist der Vogel mit Casia und Yin an Bord.«
Ein ungutes Gefühl überkam ihn. »Das war der Vogel«, murmelte er, als er sah, was Bild und Text ihm anzeigten - das Shuttle war explodiert.
»Er ist weg?« Desjani tippte auf ihre Kontrollen. »Shuttle-Unfälle sind ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Aber ein solcher Unfall … Unsere Systeme zeigen an, dass die Brennstoffzelle des Shuttles leckgeschlagen sein muss. Was zum Teufel soll denn so etwas verursacht haben?«
»Der Zerstörer Rapier ist der Unfallstelle am nächsten«, meldete der Ablauf-Wachhabende. »Sie bitten um Erlaubnis, das Gebiet nach Überlebenden abzusuchen und Beweismaterial einzusammeln.«
Eigendich hätte Geary längst auf die Idee kommen sollen, ein Schiff hinzuschicken, aber er konnte noch immer nicht so ganz begreifen, was sich da gerade abgespielt hatte. »Sagen Sie der Rapier, sie hat die Erlaubnis.«
Desjani schüttelte vor Wut den Kopf. »Die Überlebenschan-cen sind gleich null, aber vielleicht findet die Rapierya. etwas im Wrack, das eine Erklärung dafür liefert, was an Bord passiert ist.«
Die Rapier war noch auf dem Weg zum Trümmerfeld, da kam Rione auf die Brücke geeilt, beugte sich zu Geary vor und llüsterte ihm ins Ohr: »Ein sehr ungewöhnlicher Unfall, und jetzt sind zwei Offiziere tot, die Namen hätten nennen können.«
Er sah sie verdutzt an. »Sie meinen …?«
»Casia hätte noch eine letzte Aussage machen können, wenn er vor dem Erschießungskommando stand, und Yin wäre bei einem Verhör vermutlich zusammengebrochen und hätte etwas Brauchbares verraten können. Was meinen Sie P«
Er wollte diesen Gedanken eigentlich nicht in Erwägung ziehen, aber dass ausgerechnet das Shuttle mit den beiden Gefangenen an Bord in die Luft ging, machte es schwer, Riones Andeutung zu ignorieren. Jemand hatte seine Bemü-
hungen, gegen Geary vorzugehen, auf eine neue, tödliche Stufe angehoben. Ihm war Riones Warnung vor seinen Widersachern zuvor als völlig überzogen vorgekommen, doch jetzt regten sich erste Zweifel. Wer immer dahintersteckte war bereit, Allianz-Personal kaltblütig zu ermorden, weil er Geary das Kommando über die Flotte streitig machen wollte. Aber wenn stimmte, was Commander Yin während der Konferenz gesagt hatte, dann wollten sie auch verhindern, dass er sich zum Diktator aufschwingen konnte, sobald sie nach Hause zurückgekehrt waren. So wie Rione waren sie bereit, zu diesem Zweck zu töten. Anders als Rione hatten sie jedoch nicht nur mit solchen Maßnahmen gedroht, sondern sie auch ergriffen.
Und anders als sie hatte ihr Attentat nicht Geary, sondern anderen Offizieren der Flotte gegolten.
Was auch bedeutete, dass sie bereit und in der Lage waren, weitere Attentate zu verüben. Die Frage war nur, wann sie wo und wie wieder zuschlagen würden.
Sieben
Seit der Schlacht bei Ilion hatte er Captain Numos nicht mehr gesehen. Der ehemalige Schlachtschiffkommandant erhob sich nicht von seinem Platz, als Gearys Bild in dessen zu einer Zelle umfunktioniertem Quartier erschien, sondern musterte ihn nur mit der gleichen Mischung aus Verachtung und Antipathie, die er von der ersten Begegnung an zur Schau gestellt hatte. »Was wollen Sie?«
Geary hatte nicht vor, sich von Numos provozieren zu lassen, also erklärte er mit einem flüchtigen Kopfschütteln: »Sie haben sicher gehört, dass ein Shuttle explodiert ist und dass vier Marines und zwei Flottenoffiziere tot sind. Meinen Sie, da kümmert es mich, wie Sie sich mir gegenüber
Weitere Kostenlose Bücher