Die verschollene Karawane
Der Statthalter des Schwertes wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. War das der Grund, warum Föllmer und seine Freundin nach Aksum kommen würden? Was, zum Teufel, war hier los? Je länger er nachdachte, desto mehr überkam ihn der Gedanke, dass die beiden Sufis ihn aufs Kreuz legen wollten. Um was ging es hier wirklich? Was hatte diese Bundeslade mit der Karawane zu tun, von der ihm die Derwische ja auch nichts gesagt hatten?
Der Racheengel fühlte sich plötzlich überhaupt nicht mehr krank. Misstrauen marterte ihn. Der Hunger schien wie weggeblasen zu sein. Diese miesen, alten Sufis! Sie belogen ihn! Sie wussten mehr, als sie ihm sagten. Er musste die Drecksarbeit machen und diese beiden Greise sahnten dann womöglich zusammen mit dem Kunsthändler aus Kairo ab! »Nicht mit mir! Nicht mit dem Statthalter des Schwertes! So nicht«, zischte er völlig außer sich und wollte sich schon wieder in den Schatten des Baumes zurückziehen, als er zwei Touristen bemerkte. Es war ein älteres Paar. Sie war sehr fett, er lief an einem Gehstock. Beide trugen rote Schirmmützen und sahen wie Amerikaner aus. Mit dem Instinkt eines Raubtieres erkannte Sahib al Saif, dass die beiden prädestinierte Opfer waren. Die Fette postierte ihren Mann soeben vor der Kirche und machte mit ihrem Handy ein Foto. Der Racheengel war hoch konzentriert. Ein Handy! Hilflose Greise! Kaum keimte die Hoffnung in ihm, als die Frau wenige Schritte zur Seite ging, das Handy in ihre an einem Zaum hängende Handtasche steckte, einen Fotoapparat hervorholte und zurück zu ihrem Mann watschelte.
Sahib al Saif erkannte sofort seine Chance. Mit schnellen Blicken prüfte er sein Umfeld. Kein Polizist, kein junger Mann, der ihm hinterherrennen würde. Er atmete schnell. Ohne zu zögern, schritt er erst langsam, dann immer bestimmter auf die Handtasche zu. Dann hetzte er los. Zehn Schritte, noch fünf – ein schneller Griff. Und ein rascher Blick: das Handy und eine Geldbörse. Als er mit der Handtasche der alten Touristin in der Hand losrannte, jubelte er innerlich. Geld – ein Handy. Die Rettung! Allah hatte sein Flehen erhört, hatte ihm zwei dumme, reiche und behäbige Christen als Opfer geschickt. Allahu-Akbar!
Abba Giyorgis war der lustigste Priester, den Peter je kennen gelernt hatte. Er musste um die siebzig Jahre alt sein und trug eine Hornbrille mit Gläsern so dick wie ein Vergrößerungsglas. Er kicherte permanent. Der Schalk saß dem Ältesten des Klosters Tana Cherkos im Nacken. Kaum hatte das Boot beigedreht, war Abba Giyorgis mit seinen beiden Mitbrüdern an Bord gekommen. Zunächst begrüßte er Seyoum auf vertraute Weise, konnte sich jedoch beim Anblick von Jahzara ein keckes »Oh, Herrgott, beschütze unsere Seelen! Die Sünde wandelt über die Meere, um uns zu versuchen« nicht verkneifen. Jahzara lächelte gequält. Gedankenverloren saß sie in der Kajüte und beobachtete, wie die Bootskapitäne der beiden Schiffe fachsimpelten. Nach einem kurzen Wortwechsel wurde entschieden, dass das Boot der Mönche sie zurück nach Bahir Dar schleppen würde.
Peter versuchte zu intervenieren: »Wir sind nicht weit vom Kloster Tana Cherkos, aber sehr weit von Bahir Dar entfernt. Warum fahren wir nicht zum Kloster, das geht schneller?«
Abba Giyorgis schüttelte seinen Kopf. »Solche Sandstürme, wie ihr ihn erlebt habt, sind zu dieser Jahreszeit keine Seltenheit. Der heimtückische Wind dreht blitzschnell. Das wäre zu gefährlich!«
Peter horchte auf. »Wieso haben nur wir den Sturm erlebt? Ihr seid direkt durch diese Sandwand hindurch auf uns zugefahren. Ihr müsst doch mittendrin gewesen sein?«
Die beiden anderen Mönche, zwei dünne Gestalten mit flatternden Gewändern und missmutigen Blicken, schauten sich verwundert an.
Der Abt druckste verlegen herum, schielte dann zu Jahzara und scherzte zweideutig: »Wir Mönche sind manchmal so weit entfernt von den weltlichen Dingen, dass unser Blick getrübt ist für die Schönheiten und Naturgewalten dieser Welt. Was das eine Auge sieht, entzieht sich oft dem Blick des anderen. Wir jedenfalls haben nur geahnt, dass dieses Unwetter aufkommt. Erlebt haben wir es nicht. Die See war ruhig, die Sonne schien. Allerdings hatte ich heute Nacht einen seltsamen Traum, eine Vision. Da war ein Mann ohne Gesicht. Er schien über dem See zu schweben und türmte mit seiner linken Hand die Fluten des Tanasees zu riesigen Wellen auf. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Weil uns dann heute
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