Die verschollene Karawane
gläubige Besucher, die erkennen, welch große Rolle unser Land bei der Entstehung des Christentums gespielt hat. Doch es mehren sich auch die Zeichen und Hinweise, dass Menschen, die vielleicht Arges im Sinn haben, sich für unsere Inseln interessieren. Da gibt es einen Pater aus Jerusalem. Er gehört zur Benediktinerabtei Dormitio. Vor langer Zeit schon ersuchten erlauchte Männer vom Vatikan in Rom unseren Patriarchen, diesen Pater Benedikt bei einem bedeutsamen Forschungsprojekt zu unterstützen. Sogar der ehrwürdige Nabura Ed, Bischof unserer heiligen Stadt Aksum, wurde um Hilfe ersucht. Dieses Ansinnen aus Rom beunruhigte uns allerdings mehr, als dass wir es als Ehre empfanden. Die Verbindung zwischen der römisch-katholischen Kirche und den Christen Äthiopiens ist nicht immer sonderlich gedeihlich gewesen.«
Der Mönch schwieg eine Zeit lang und blickte hinaus auf den Tanasee, der im Licht des frühen Nachmittags friedfertiger denn je wirkte.
Jahzara schaute zu Peter. Hatte er bei diesen Worten des Abbas die gleichen Gedanken wie sie? Bei dem erwähnten Pater Benedikt handelte es sich ohne Zweifel um jenen Pater, der Zugang zum Sion -Dossier in Lissabon gehabt hatte. Und nun tauchte er hier in Äthiopien auf! Peter nickte ihr unauffällig zu. Mit seinem über den Mund gelegten Zeigefinger signalisierte er ihr, dass es besser sei, den Mönch nicht zu unterbrechen.
Abba Giyorgis holte tief Luft und sprach dann weiter: »Rom mochte uns nie. Und Rom mag uns noch immer nicht. Sie, die das Zölibat verteidigen, mögen nicht, dass unsere Priester vor der Weihe verheiratet sein müssen; sie mögen nicht, dass wir jüdisches Brauchtum als festen Bestandteil unseres Glaubens sehen; sie verurteilen es, dass wir nur eine Natur Christi, die göttliche, anerkennen. Nie haben sie verziehen, dass wir die Beschlüsse des Konzils von Calzedon nicht anerkannt haben. Eigentlich, das müssen wir bei aller Ehrfurcht vor dem Heiligen Vater in Rom sagen, gab und gibt es nicht gerade sonderlich viel Christenliebe zwischen Rom und Addis Abeba! Deswegen wundert es uns schon sehr, dass wir jetzt um Unterstützung für einen Pater gebeten werden, der sich mit den Geschehnissen lange vor jenen, die euch interessieren, beschäftigt. Argwohn leitet unsere Herzen, wenn es um diesen Pater Benedikt geht. Das Seltsame ist: Er müsste sich eigentlich schon längst gemeldet haben. Wir haben ihn dieser Tage erwartet. Aber er kam nicht! Wenn er noch auftauchen sollte, werden wir ihm zuerst erzählen, wie unsere Vorfahren Gastfreundschaft praktiziert haben. Willkommen war bei uns in Aksum, Lalibela, in Abessinien, Äthiopien oder wie immer auch unser Land von euch Europäern im Laufe der Jahrtausende genannt wurde, jeder. Aber nicht alle, die da kamen, haben sich auch wie Gäste verhalten. Wer versuchte, uns zu bestehlen, uns übel nachredete oder gar Verschwörungen gegen uns initiierte, den haben wir bestraft, indem er für immer und ewig unser Gast bleiben musste. Wir verwehrten ihnen die Heimreise, gaben ihnen jedoch Haus und Weib und gestalteten ihr Leben sehr angenehm. Wir haben es nicht so wie die Herrschenden in Rom, Venedig, Lissabon oder Madrid gemacht. Unsere Abgesandten, die wir dorthin schickten, immer und immer wieder, hoffend, dass unser Ruf nach Hilfe von christlichen Brüdern erhört werden würde, diese Abgesandten sind spurlos verschwunden. Vielleicht wurden sie umgebracht! Wir haben sogar mal Boten zum Papst nach Rom geschickt, ihn gebeten, uns im Kampf gegen die Ungläubigen beizustehen. Bis zum Patriarchen von Alexandria sind sie nachweislich gekommen. Dann aber verschwanden sie spurlos auf dem Weg von Alexandria nach Rom. Seltsamerweise auf einem Boot, das unter den Segeln der Kurie das Mittelmeer durchquerte. Die Boten verschwanden, die Nachricht verschwand. Damit sank unsere Hoffnung auf die Hilfe unserer Christenbrüder. Und wir wurden misstrauisch!«
Abba Griyorgis musste abermals tief Luft holen, dann setzte er fort: »Später haben wir Gäste, von denen wir wussten, dass sie uns nicht wirklich wohlgesinnt waren, in unserem Reich behalten. Das war so mit einem Italiener namens Pietro Rombulo, der siebenunddreißig Jahre am Hofe unseres Kaisers David verbrachte. Und so war es mit einem sicherlich auch euch bekannten Mann: mit Francisco Álvares. Er war ein Franziskaner – und ein Spion des Heiligen Vaters aus Rom! Auf einem Schiff der Portugiesen war er angereist. Wir gaben ihm, unserem christlichen Bruder, was er
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