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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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des sich ankündigenden Unwetters taten, war ihnen als Menschen auf dem Boot versagt. Sie waren noch mindestens eine Stunde von Tana Cherkos, aber bereits Stunden von Bahir Dar entfernt. Es gab keinen Weg zurück. Das wusste auch der Bootsbesitzer. Sorgenfalten hatten sich auf seine Stirn gelegt. Sein Grinsen wirkte gequält. Er fing plötzlich an, von Gog und Magog zu faseln, und ließ seine Gebetskette immer schneller durch seine Finger gleiten. Jahzara wandte sich von den Männern ab und bekreuzigte sich heimlich. Seyoum schaute auf die Uhr, erkannte, dass die Zeit gegen sie war, und zündete sich die dritte Zigarette binnen weniger Minuten an.
    Dann brach der Zorn aller Götter, Geister und Dämonen Afrikas, die sich über dem Tanasee zu einer unheilvollen Machtdemonstration gegen die zerbrechlichen Wesen zusammengerottet hatten, über sie her. Gog und Magog vereinten sich mit ihnen. Der Himmel verzog sein am Morgen noch so nettes, blaues Antlitz zu einer Fratze mit aufgeblähten Wangen und schwarzen Augen. Die erste Sturmböe kam ohne Ankündigung und hob das Boot wie eine mächtige Hand aus dem Wasser empor. Seyoum prallte mit dem Kopf gegen einen Fahnenmast und sank benommen nieder. Peter wurde in die Kajüte geschleudert und riss den Skipper mit um. Er krallte sich am Ruder fest und schaute hinter sich. Jahzara sprang gerade auf, um ihrem Vater zu helfen. Die nächste Böe erfasste das Boot, kurz bevor sie ihren Vater erreichte. Das Boot wurde durchgerüttelt, drehte sich steuerlos im Kreis, neigte sich bedrohlich zur Seite, wippte, schaukelte, bäumte sich am Bug gen Himmel auf und schlug wie ein toter Fisch wieder auf dem Wasser auf. Der Skipper lag festgekrallt am Steuer. Er blutete an der Stirn.
    Peter wurde umhergeschleudert. Ein loses Wasserfass prallte gegen seine Rippen. Der stechende Schmerz ließ ihn aufschreien. Er versuchte, sich zu orientieren, sah mal auf der Leeseite den Horizont und wurde auf der Luvseite gewahr, dass da kein See mehr, sondern nur noch Wolken und Himmelsfetzen waren. Dann hörte er durch den Sturm hinweg Seyoum brüllen. Er brüllte nicht vor Schmerzen. Es war Entsetzen, nackte Angst, was er dem Sturm entgegenschrie. Peter wirbelte herum. Panisch suchten seine Augen das Boot ab. Seyoum lag noch immer auf dem Boden. Sein Oberkörper hatte sich in Seilen verfangen. Seine starren Pupillen schrien Peter lautlos zu, wo Jahzara am Heck über Bord gegangen war.
    Das Böse fauchte unablässig den Zorn der Götter in die tosende Welt herab. Ein Schlund – so riesig wie ein Tal zwischen zwei Gipfeln – tat sich am Himmel auf und spuckte eine Flut an Wasser auf das umherschleudernde Boot. Binnen Bruchteilen von Sekunden stand das Wasser kniehoch im Bootsinneren. Der Dieselmotor bäumte sich noch einmal auf, bevor sein Tuckern aussetzte. Das Boot drohte zu kentern, trieb durch ein Wellental zum nächsten.
    Peter klammerte sich an die Reling und versuchte aufzustehen. Seyoum schien hilflos in den Seilen gefangen zu sein. Der Skipper bibberte vor Angst. Triefend nass und in Todesangst sah er bemitleidenswert aus. Peter hangelte sich mit aller Kraft an der Reling hoch, wurde von rechts nach links geworfen. Wohin er auch schaute, er sah nur Wasser und Wolken. Kein Rettungsring, keine langes Seil, keine Jahzara, keine Hoffnung. Da war nur Angst.
    Plötzlich schien die Sonne. Nur wenige Minuten waren vergangen. Es war eine heiße Mittagssonne. Prall und glühend stand sie fast im Zenit über dem Boot, das auf dem spiegelglatten Sees wie fest verankert dalag. Es war ein Wunder! Kein Wind, kein Sturm, kein Regen. Nur das Wasser im Boot zeugte davon, was soeben geschehen war. Nicht eine winzige Welle war auf dem See auszumachen. Gen Süden, über das Heck hinweg, konnte Peter bis zum Horizont sehen. Außer Wasser war da nichts. Wo war Jahzara?
    »Jaaahzaaaraaa!«, schrie er und schlug sich beim Aufspringen das Knie an der Bank. Die Sonne blendete seine weit aufgerissenen Pupillen. Seyoum lag leblos in den Seilen. Peter schrie und schrie.
    »Peeeteeer!«
    Er hörte sie, konnte sie aber nirgends entdecken. Dann tauchte ihre Hand auf. Die zarten, feingliedrigen Finger mit den hell lackierten Fingernägeln streckten sich ihm aus der Kuhle am Heck des Bootes, dort, wo Seile und Kanister unter einer Plane gelagert waren, entgegen. Erst war es die rechte, dann die linke Hand, die sich am Rand der Vertiefung festhielten. Ihr Kopf tauchte auf. Sie richtete sich auf, stand durchnässt so schön und groß

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