Die verschollene Karawane
benötigte, erzählten ihm, was er wissen wollte – behandelten ihn wie einen Freund. Dann aber wurden wir gewahr, dass er alles, was er erfuhr, die Stärken unserer Heere und die Schwächen unserer Herrscher, aufschrieb. Wir gelangten in den Besitz von Dokumenten, die Francisco Álvares mit sich führte. Daraus konnten wir ersehen, dass machthungrige Männer in Rom einen hinterlistigen Plan ersonnen hatten, um unser Reich in den Abgrund zu stürzen. Dieser Álvares war Teil dieser Intrige. Also durfte er sieben Jahre lang nicht unser Land verlassen. Alles, was er ausspioniert und niedergeschrieben hatte, lag lange Zeit in einer Truhe hier auf Tana Cherkos. Es verschwand vor vielen Jahren spurlos. Niemand weiß, wer es gestohlen hat. Es kann nur ein Besucher gewesen sein. Doch ich glaube, diese Notizen sind es, die jetzt die wundersame Aufmerksamkeit so vieler Fremder auf sich ziehen. Vielleicht kommt dieser Pater Benedikt aus Jerusalem nur wegen dieser Aufzeichnungen. Und vielleicht erklärt sich so auch das Interesse einiger Araber aus Kairo, die sich schon vor mehr als einem Jahr mit höchst fadenscheinigen Argumenten hier nach Francisco Álvares erkundigt hatten.«
Bei der Erwähnung der Araber schauten sich Peter und Jahzara fragend an. Der Abba redete indessen weiter.
»Wahrscheinlich rührt daher auch mein Traum der letzten Nacht. Ich spüre, meine Freunde, dass Dinge geschehen, die den Sturm des Wandels über unser Land fegen lassen werden. Ich ahne, dass es besser ist, Menschen, denen wir vertrauen können, davon zu erzählen, bevor Hab- und Machtgier die Wahrheiten für immer verschleiern. Das, Jahzara, ist der Grund, warum ich dir – euch all das erzähle. Du bist mir, deinem Vater und deinen Vorfahren verpflichtet. Der Geist der Ahnen wird dir Weisheit und Ehrlichkeit auferlegen. Das Blut jener Prinzessin Sahel, die einst hier am Tanasee aufbrach in ferne Länder, um uns vor den Horden der Moslems zu retten, strömt in unser aller Blute. Vollende, was Prinzessin Sahel nicht gelang.«
Peter sah, wie Jahzara die Tränen kamen. Sie schluchzte ungehemmt. Der Abba tat so, als sei ihm eine Fliege ins Auge geflogen, um zu verschleiern, dass die Tränen Jahzaras ihn rührten. Die beiden Bootsführer stierten ostentativ auf den See hinaus.
Es dauerte lange, bis Jahzara sehr leise zu sprechen begann: »Im fernen Italien, in einem Kloster namens San Francesco del Deserto, sind unlängst zwei Franziskanermönche umgebracht worden. Einer dieser toten Mönche hat uns vor seinem Ableben sensationelle Dokumente zukommen lassen. Darunter eine alte Landkarte und Teile eines sehr alten Buches. Darin wird von einer geheimnisvollen Karawane von Äthiopien quer durch die Sahara berichtet. Bislang wussten wir nicht, wer der Verfasser dieser Texte war. Jetzt, nach all dem, was du uns erzählt hast, ahne ich es: Es war Francisco Álvares! Also der Mann, dem ihr als vermeintlicher Spion des Papstes sieben Jahre lang die Heimreise verwehrt und seine Manuskripte zurückgehalten habt. Ein Franziskaner! Erst viele Jahre nach seiner Rückkehr nach Europa veröffentlichte man in Lissabon seinen Reisebericht unter dem Titel Verdadeira Informação das Terras do Preste João das Índias. Allerdings nur eine gekürzte Version. Ich denke, es waren Gedankenprotokolle, mehr nicht. Das Original tauchte nie in Europa auf. Es galt als verschollen. Wir wissen nun, warum. Es lag hier im Kloster Tana Cherkos unter Verschluss. Ehre gebühre den Toten! Aber ich ahne, wer dieses Original zuletzt besessen hat: der ehemalige Franziskanermönch Charles Bahri. Woher er das Originalmanuskript von Francisco Álvares hatte, weiß ich nicht. So, wie ich auch nicht weiß, ob all das stimmt, was in dem Dossier geschrieben steht. Nur du, ehrwürdiger Abba Giyorgis, kannst uns helfen, unsere Vermutungen zu Wahrheiten werden zu lassen. Was geschah vor 600 Jahren hier am Tanasee? Ich denke, wir müssen uns beeilen. Es gibt, wie damals, auch heute Menschen, die aus anderen, sehr niedrigen Beweggründen nach der Wahrheit suchen. Christen wie Moslems. Dazu könnte auch der Pater aus Jerusalem gehören. Er gehört dem Orden Hagia Maria Sion an. Den gleichen Namen trägt seltsamerweise unsere heilige Kirche Maryam Sion in Aksum. Und das Sion -Dossier! Diese Namensgleichheit ist sicherlich kein Zufall! Und da sind auch noch die Araber. Diese Leute sind skrupellos, schrecken sogar vor Mord nicht zurück. Doch ich lasse mich nicht mehr aufhalten. Gott wird uns
Weitere Kostenlose Bücher