Die verschollene Karawane
und unglaublich attraktiv, wie der Schöpfer sie geschaffen hatte, am Heck in der Luke. Ihr Busen zeichnete sich unter dem nassen Hemd ab. Sie sieht pudelnass sehr hübsch aus, schoss es Peter in seiner grenzenlose Freude und Erleichterung durch den Kopf. Er lächelte, lachte sie an, erwartete Tränen der Erleichterung zu sehen. Aber Jahzara starrte panisch an ihm vorbei. Ihre Augen bestanden nur aus Weiß. Ihre Lippen waren geöffnet, suchten, fanden aber keine Worte. Seyoum kniete sich auf den Boden, nicht weit von Jahzara entfernt. Er schaute zum Himmel hoch. Was er dort sah, schien er nicht zu glauben. Peter wandte sich irritiert um. Auch der Bootseigner starrte zum Himmel. Er zitterte am ganzen Körper.
Dann sah Peter es. Er war nicht ganz so erstaunt wie die anderen, ahnte, dass er der Einzige an Bord war, der wusste, was da vor ihnen lag. Nicht weit von ihnen entfernt, vielleicht einen Kilometer oder gar weniger, endete die Welt, der See. Dort war nur noch eine Wand, eine Mauer zu sehen. Rot, braun und ein wenig gelb. Sie reichte vom spiegelglatten Wasser des Sees bis hinauf zur Sonne. Aber es gab keine Schatten! Die Sonne war da, schien über dem Boot, wärmte seinen nassen Körper. Doch die Wand blieb ohne Schatten! Und sie bewegte sich, schien, wie von magischer Hand geschoben, über den See zu wandern. Wo sie sich hinbewegte, verfärbte sich das Wasser rot.
Peter schluckte. Er wusste, dass dies den Tod bedeuten würde, wenn diese Wand sich dem Boot näherte. Das da war das Meer der Finsternis, der Dunkelheit! Der Wüstensturm, den die Portugiesen einst so gefürchtet hatten, weil er alles verschluckte: Dörfer, Schiffe und Karawanen. Wie eine gigantische Walze aus rotem und gelbem Sand schlich die monströse Wand in Zeitlupentempo über den See auf sie zu.
Peter hatte Todesangst. Er kniff seine Augen zu engen Schlitzen zusammen und blinzelte gegen die Sonne in die Welt aus Sand und Wind. Ja! Ganz eindeutig! Der Sturm trieb ostwärts, wälzte Myriaden Tonnen Sand, angereichert mit heißer Luft, auf das Festland zu, dorthin, wo das Meer der Finsternis hergekommen war. Dorthin, wo der Harmattan den Sand von Mutter Erde aufgesogen und ihn auf den Tanasee getrieben hatte. Dann verschwand die Wand wie von Zauberhand, ließ durch wunderschöne, rötliche Wolken am Horizont im Norden erahnen, wohin er beabsichtige, den Tod zu bringen. In den Sudan. Oder nach Ägypten.
Zitternd drehte Peter sich um. Jahzara saß zusammengekauert auf dem Heck. Sie schluchzte. Seyoum paffte an einer Zigarette, zündete sich mit der alten eine neue an. Der Skipper stammelte wirres Zeug. Plötzlich hörten sie das Tuckern eines Bootes und verstanden nicht, warum dieses Boot auf sie zusteuern und dabei über die Stellen gleiten konnte, wo eben noch der Tod gelauert hatte.
14.
D er Hunger grollte in seinem Magen wie ein böses Tier. Eines, das bereit war zu töten. Seit er vor zwei Tagen mit dem Überlandbus von Gonder nach Aksum gekommen war, hatte der Racheengel des Al-Sakina-Ordens keine richtige Mahlzeit mehr zu sich genommen. Gestern hatte er auf einem Markt wenigstens noch einige Bananen stehlen und das Hungergefühl zumindest in der Nacht dämpfen können. Heute Morgen wäre er beim Versuch, einem Straßenhändler ein Fladenbrot zu entwenden, beinahe erwischt und vom aufgebrachten Mob verprügelt worden. Ihm war übel. Nicht nur, dass er diesen grauenhaften Hunger hatte. Mit der ansteigenden Tageshitze nahm auch sein Durst zu. Aber er hatte Angst, aus einem öffentlichen Brunnen zu trinken. Tags zuvor hatte er aus einem Brunnen getrunken und danach Durchfall bekommen. Hunger, Durst und Durchfall waren zu viel für seinen ohnehin geschwächten Körper. Schwindelgefühlen folgten Magenkrämpfe und Schüttelfrost.
Sahib al Saif konnte sich nicht erinnern, dass er sich jemals zuvor in seinem Leben so schlecht gefühlt hatte. Er kam sich vor wie ein in die Enge getriebenes, verletztes Raubtier. Aus dem Jäger war ein Gejagter geworden. Sein vermeintlich kluger Schachzug, sich als Aussätziger zu tarnen, hatte sich längst als fataler Fehler entpuppt. Die Menschen dieser Stadt trugen kein Mitleid in ihren Herzen. Sie hatten Angst vor einem Aussätzigen in einem zerlumpten Sackleinenkleid. Keinen einzigen Birr hatte er bislang bekommen. Verfluchte Christen! Der Heilige Koran schrieb jedem gläubigen Moslem vor, Almosen zu geben. Zakat, die religiöse Pflichtabgabe, war eine der fünf Säulen des Islams. Aber hier, bei den
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