Die verschollene Karawane
beschützen. Und du, Abba Giyorgis, kannst uns helfen. Ohne dich wird der Staub der Vergangenheit und des Vergessens nicht nur die verschollene Karawane zudecken, sondern auch den Tod unschuldiger Menschen unaufgeklärt lassen.«
Peter versuchte, seine Ergriffenheit zu unterdrücken. Zum ersten Mal nach dem Tod seiner Frau hatte er das Gefühl, weinen zu können. Was und mit welcher Herzenswärme Jahzara soeben resümiert hatte, rang ihm grenzenlose Hochachtung ab. Er war begeistert von ihr, schätzte ihren Sachverstand, bewunderte ihre analytischen Fähigkeiten.
Abba Giyorgis rieb sichtlich aufgewühlt seine Handflächen gegeneinander. Die Sonne ließ seinen ohnehin lebhaften Augen einen eigentümlichen Glanz angedeihen. Die Brise des späten Nachmittags fuhr ihm durch seine wenigen Haare. Ihm war anzusehen, dass ihn Gewissenskonflikte plagten. Ungelenkt winkte er die beiden anderen Mönche herbei und flüsterte ihnen etwas zu. Ohne ihre Blicke zu erheben, gingen sie zum Bug des Bootes, ließen sich dort nieder und hielten sich die Ohren zu. Es sah sehr lustig aus.
»Was hast du den beiden gesagt?«, fragte Seyoum. Es fiel ihm schwer, angesichts der beiden Mönche nicht zu lachen.
»Ich habe ihnen gesagt, dass der Zorn des Herrn ihnen die Fähigkeit zu hören nehmen wird, wenn sie ihre Ohren nicht verschließen. Was der eine hören soll, muss nicht das Gewissen eines anderen belasten. Meine beiden Brüder sind sehr schlichte Menschen. Es ist besser, wenn sie später sagen können, dass sie von alldem nichts mitbekommen hätten. Wenn ich euch jetzt erzähle, was damals geschah, könnte der Allmächtige mit Blitz und Donner und ewiger Verdammnis reagieren. Vielleicht höre auch ich danach nicht mehr. Wer weiß? Wenn er meine Ohren mit ewiger Stille belegt, wäre das zu ertragen. Ich habe so viel Schlimmes in meinem Leben gehört! Jetzt aber sollte ich beginnen, bevor ein göttlicher Blitz mir den Kopf verwirrt und mich zum lallenden Dummkopf werden lässt. Was ich euch erzähle, ist jene Wahrheit, die mir so von den Ältesten des Klosters überliefert wurde und die ich als Wahrheit verinnerlicht habe.«
Abba Giyorgis nahm seine Hornbrille ab und wischte die monströsen Gläser an seinem Gewand ab. Der alte Mönch rang sichtlich nach Luft, schien für einige Momente die Fassung zu verlieren. Für ihn war es wohl ein unrühmlicher Rückblick in eine Zeit, da die Kaiser- und Christenreiche dieses Landes in hoher Blüte gestanden hatten.
Der Alte starrte fast apathisch auf den See hinaus. Er schien seine Erinnerungen aus den Wolken am Horizont herbeizuholen. An die Reling angelehnt, begann er zu sprechen: »Mein Herz wird schwermütig, wenn ich über diese Dinge spreche. Um das zu verstehen, müsst ihr wissen, dass die Beziehungen zwischen den altäthiopischen Reichen und den Moslems früher ungewöhnlich gut waren. Der erste Kontakt des Islams mit Äthiopien fand schon zu Lebzeiten des Propheten Mohammed statt. Einige Muslime, darunter auch die Ehefrau des Propheten, flohen nach Äthiopien, wo sie freundlich aufgenommen wurde. Unser König weigerte sich, die Verfolgten nach Mekka auszuliefern, weil er keinen großen Unterschied zwischen dem orthodoxen Christentum und dem Islam sehen konnte. Ob ihr es glaubt oder nicht, aber in Äthiopien entstand die erste muslimische Gemeinde der Welt außerhalb Mekkas! Ab dem neunten Jahrhundert entwickelten sich sogar einige islamische Fürstentümer bei uns, vor allem im Osten und Südosten unseres Landes. Doch die Herzen derer, denen wir unsere Gastfreundschaft offenbart hatten, wurden alsbald vom Hass geblendet. Sie trachteten danach, unser christliches Reich der Herrschaft der grünen Fahnen des Propheten zu unterwerfen. Sieben Jahrhunderte schon waren die Krummdolche schwingenden Reiter auf ihren Pferden von Osten kommend über Nordafrika hinweggefegt, hatten die Meerenge bei den einstigen Säulen des Herakles überschritten und mit ihren gellenden Schreien sogar die Iberische Halbinsel erzittern lassen, da schwand unserer Herrscher Hoffnung, dass der Allmächtige Gott der Christen den Heeren Allahs Mut und Kraft, ihren Pferden den Atem nehmen würde.«
Jahzara hüstelte leise. Der Alte verharrte kurz, dann erzählte er weiter.
»Der Sultan von Kairo, so trug der Wind die Nachricht nilaufwärts, trachtete allen Christen unseres Reiches nach dem Leben. Wo er auftauchte, färbten sich die Fluten der Flüsse alsbald mit dem Blut von Christen. Geier und Hyänen lebten im
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