Die verschollene Karawane
nachdenklich gestimmt. Intuitiv spürte sie, dass es etwas mit Yvonne zu tun haben könnte. Dann aber hatte sie von ihm eine Mail bekommen. Er war auf dem Flug von Frankfurt via Casablanca nach Mali in der marokkanischen Hafenstadt verspätet angekommen und hatte seinen Anschlussflug verpasst. Die Flugumbuchung nach Timbuktu war für sie zu einem Abenteuer geraten. Erst als ein netter Hotelangestellter ihr erklärte, dass in diesem Land nichts ohne »Jetons«, also Schmiergeld, ging, hatte sie für Peter einen neuen Flug arrangieren können.
Nun saß sie allein in dieser tristen Wüstenstadt, in diesem schmuddeligen Hotel, nippte frustriert an einer lauwarmen Cola und sehnte sich nach dem nächsten Tag. Jegliche Euphorie war gewichen. Lange wälzte sie sich in dem schmalen Bett von einer Seite auf die andere. Sie war sehr unruhig. Ihre Gedanken kreisten weder um die Prinzessin Sahel noch um den Priesterkönig Johannes noch um die Bundeslade. Aber auch nicht um Peter. Sie freute sich sehr darauf, ihn zu sehen. Doch jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie nicht sein, sondern das Bild von Yvonne vor sich. Etwas musste geschehen sein.
Peter erreichte das Hotel am späten Nachmittag des nächsten Tages. Er sah erschöpft aus und wirkte sehr nervös. Seine Umarmung war halbherzig. Sie setzten sich auf die Terrasse des Campments, und Jahzara fühlte, dass ihm etwas auf der Seele lag.
Peter ließ sie nicht lange warten: »Puh, war das eine anstrengende Reise. Hinzu kommt noch, dass mich dieser Hautausschlag, den ich mir irgendwo eingefangen habe, noch immer ein wenig malträtiert. Ein Hautarzt in München hat mir zwar eine wirksame Cortisonsalbe verschrieben, aber so ganz ist es immer noch nicht weg. Außerdem konnte der Arzt mir auch nicht sagen, um was für einen Ausschlag es sich handelt.«
Peter stockte für einen Moment. Er hüstelte verlegen.
»Jahzara, es ist sehr schwer für mich, dir das zu sagen. Du weißt, dass ich dich mag und dich außerordentlich schätze. Und du wirst sicherlich längst bemerkt haben, dass ich dich auch begehre. Weil das so ist und ich großen Respekt vor dir habe, denke ich, dass ich es dir schuldig bin, ehrlich zu sein.« Er stockte und nippte an seinem Bier. Dann flüsterte er verlegen: »Yvonne ist schwanger.«
Jahzara erstarrte innerlich. Es fiel ihr schwer, nicht die Contenance zu verlieren. Millionen Gedanken rasten ihr durch den Kopf. Was sollte sie sagen, was nicht sagen? Sie versuchte, ihre Überraschung zu kaschieren.
»Schwanger? Von dir?«
»Ja!«
»Freust du dich? Oder ist es eher ein Problem?«
Peter druckste herum. Noch nie hatte sie ihn so irritiert, so sprachlos gesehen. Er wirkte sehr ernst. Sie ahnte, was er sagen würde.
»Ich war immer ehrlich zu dir, Jahzara. Und ich möchte es auch weiterhin sein – mit allen Konsequenzen! Das bin ich dir schuldig. Ja, im ersten Moment war ich geschockt, als Yvonne es mir sagte. Aber dann habe ich mich plötzlich sehr darüber gefreut. Eigentlich habe ich mich nie mit dem Gedanken beschäftigt, zusammen mit Yvonne ein Kind haben zu wollen. Sie hat verhütet, das weiß ich. Aber es ist passiert, wahrscheinlich in Venedig, am Abend bevor ich dich zum ersten Mal sah. Und jetzt freue ich mich unendlich, dass es so ist. Yvonne und ich sind wieder zusammen, Jahzara. Wir haben uns in München lange darüber unterhalten, was in Lissabon und in den zurückliegenden Jahren geschehen ist. Yvonne war mir nicht böse. Sie ist ein sehr großherziger, uneigennütziger Mensch. Und sie hat freimütig zugegeben, dass du eine außerordentlich attraktive Frau bist. Doch Yvonne hat mir schon in den Wochen nach Lissabon gefehlt. Nur deine Anziehungskraft und die Sache mit der Karawane haben das in den Hintergrund gedrängt. In München habe ich schließlich klar erkannt, dass Yvonne und ich zusammengehören. Yvonne wusste das schon viel früher als ich. Die Trauer um den Tod meiner Frau und meines Kindes haben mich jedoch vor Schmerz blind werden lassen.«
Jahzara wunderte sich, dass sie kein Verlangen hatte, zu weinen. Der Anflug von Neid, der sie kurz überkam, wich einem sehr angenehmen Gefühl der Ruhe. Wie aus heiterem Himmel erkannte sie, dass sie Dinge in Peter projiziert hatte, die mehr Illusion als Realität waren. Ihr Wunschdenken hatte sich darauf fokussiert, dass Peter ihr vielleicht aus diesem tiefen, dunklen Loch, in dem sie sich seit ihrem Selbstmordversuch befand, herausholen, ihr helfen würde. Doch mit seinen Worten
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