Die verschollene Karawane
sagen könnte, was damals, nach dem Tod ihres Bruders, geschehen war. Und ob sie ihm sagen könnte, was der Mönch von Tana Cherkos ihr zu dem Thema Bundeslade erzählt hatte. Der alte Mann hatte auf ihre in Amharisch gestellte Frage, ob es sein könne, dass die Karawane nicht nur den Staatsschatz, sondern auch die Bundeslade außer Landes gebracht habe, sehr rätselhaft geantwortet: »Du weißt, es hat schon einmal jemanden gegeben, der eine Kopie der Lade angefertigt und sie in den Felsentempel von Jerusalem gestellt hat, damit nicht Ungläubige Besitz von ihr ergreifen und er das Original nach Äthiopien in Sicherheit bringen konnte. So steht es in der Chronik unserer Könige geschrieben. Also ist es die Wahrheit! Aber vielleicht gibt es noch eine weitere Kopie? Vielleicht hat Gott die Karawane im Meer der Finsternis mit Sand zugedeckt, bevor die Lade hinter den Mauern Roms verschwinden konnte. Vielleicht! Ich weiß es nicht. Es liegt an euch, die Wahrheit zu ergründen. Doch bedenke, Gottes Zorn hat schon manchen Zweifler gestraft. Die Bundeslade birgt Göttliches in sich – aber auch den Tod!«
Seither war Jahzara geradezu von dem Gedanken besessen, dass sie in der Wüste Malis nicht nur die Gebeine der Prinzessin Sahel, die deren geliebten Ehemannes und den Schatz finden könnten. Möglicherweise war da noch mehr, aber eben nur möglicherweise. Es bestand also kein Grund, Peter vorab darüber zu informieren. Bald würden sie sich in Bamako treffen. Ihr Visum hatte sie nun; Peter würde seines in Deutschland beantragen. Wenn alles gut ginge, würden sie sich in zwei Wochen treffen.
Zur selben Zeit, da Jahzara in Gedanken versunken in einem Café in Addis Abeba saß, positionierte sich vor dem Apartmenthaus, in dem Yvonne Steimer in einem Münchener Vorort wohnte, ein Kleinlastwagen. Der Kastenwagen parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Der Werbeaufdruck wies das Fahrzeug als Servicewagen der Stadtwerke München aus. Zwei Männer in Arbeitsmontur stellten zwei Holzböcke auf und überdachten sie mit einem Zelt, auf dem »Gasarbeiten« geschrieben stand. Bis zum späten Nachmittag hallten Hammerschläge und andere Geräusche aus dem Zelt. Dann verließen die beiden Arbeiter das Zelt, stiegen in einen wartenden Pkw der Stadtwerke und machten Feierabend.
Als Peter gegen acht Uhr abends mit einem Taxi vorfuhr, nahm er die Warnbarken und den Kastenwagen kaum wahr. Er war zu sehr damit beschäftigt, was er Yvonne sagen sollte und ob er überhaupt in der Lage sein würde, ihr zu erklären, was damals in Lissabon geschehen war. Was war eigentlich wirklich geschehen? Was konnte sie ihm letztendlich vorwerfen? Was musste er sich selbst vorwerfen? Betroffen gestand er sich ein, dass ihre Eifersucht gerechtfertigt gewesen war. Nervös klingelte er. Der parkende Kastenwagen war zu weit entfernt, als dass er hätte hören können, wie in dem Wagen der Verschluss einer Kamera mehrmals surrte und ein Mann in ein Mikrophon flüsterte: »Er ist da.«
Pater Benedikt gewöhnte sich langsam daran, dass hier die Dämmerung nur knapp eine halbe Stunde dauerte und die Nacht schon um acht Uhr hereinbrach. Das Zwielicht des frühen Abends verlieh dem Tanasee eine bilderbuchartige, romantische Stimmung. Der See schien zu brennen, so tiefrot färbte die untergehende Sonne das Wasser. Das Gezwitscher der Vögel in den Bäumen übertönte selbst den Lärm der nahen Straße. Auch wenn sein Arm noch ein wenig schmerzte, so fühlte er sich heute zum ersten Mal seit dem Zwischenfall wohl. Die Schusswunde verheilte schnell. Er deutete es als einen Wink des Schicksals, dass er dieses Missverständnis äthiopischer Polizisten nur überlebt hatte, weil er kurz vor dem Schuss gestolpert war, das Geschoss dadurch sein Herz verfehlt und im Arm nur eine Fleischwunde hinterlassen hatte. Die Behörden hatten sich mehrfach entschuldigt. Der Hoteldirektor hatte ihm sogar angeboten, sich so lange kostenlos im Tana- Hotel zu erholen, wie er wollte. Aber er wollte nicht mehr länger bleiben. Der Schöpfer hatte es gut mit ihm gemeint, hatte ihn schnell genesen lassen. Ihm war schließlich eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen worden. Und die galt es, zu erfüllen, zumal er gestern ein sehr aufschlussreiches Gespräch geführt hatte. Faktisch hatte sich darin bestätigt, was er aus dem Sion -Dossier bereits wusste und was einige streng gehütete Dokumente aus der Bibliothek des Vatikans, die er hatte einsehen dürfen, längst
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