Die verschollene Karawane
schon viele dieser Söhne der Wüste in der Sahara verschwunden oder darin umgekommen. Du solltest darauf achten, dass dir das nicht auch passiert.«
16.
T imbuktu hatte sich Jahzara ganz anders vorgestellt. Ihre mystifizierten Vorstellungen von der legendären Karawanenstadt in der Sahara wichen in kürzester Zeit einer ernüchternden Realität. So hatte sie erwartet, dass das sagenumwobene Zentrum des afrikanischen Karawanenhandels, einst Umschlagplatz für Gold, Edelsteine, Elfenbein, Salz und Sklaven, am Niger liege. Idyllische, von Palmen überthronte, am Ufer des mächtigen Stroms liegende Sakralbauten und prächtige Paläste hatte sie sich erhofft. Aus dem Flugzeug heraus war es zunächst ein fantastischer Anblick gewesen, wie sich der träge Niger wie eine fette, glänzende Schlange durch die Endlosigkeit der Sahara westwärts wälzte. Was für ein Kontrast: ein mächtiger Strom inmitten der Wüste. Dann kam die Enttäuschung. Schon beim Landeanflug war zu sehen, dass Timbuktu mittlerweile viele Kilometer vom Niger entfernt lag. Die Wüste hatte ihren Tribut gefordert. Sie hatte ihre Dünen über Jahrhunderte weiter südlich wandern lassen und alles zugedeckt, was Menschenhand einst geschaffen hatte.
Jahzara war froh, das Flugzeug, mit dem sie von Bamako nach Timbuktu geflogen war, endlich verlassen zu können. Die Maschine war alles andere als Vertrauen erweckend. Die spartanischen Sitze sahen wie jene in Militärtransportern aus. Was an Gepäck keinen Platz im Rumpf gefunden hatte, war im Heck vor den Toiletten gestapelt worden. Nicht zuletzt, weil ein Wüstensturm über das Land wehte und den Himmel verdunkelte, war der Pilot in einer Zickzacklinie geflogen. Turbulenzen hatten das Gepäck immer wieder umhergeschleudert und einige der Passagiere aufkreischen lassen. Es war ein sehr unangenehmer Flug gewesen.
Obwohl die Sonne wegen des Sandsturms eher wie ein blasser Mond am Himmel stand, war die Hitze auf dem Flughafen von Timbuktu kaum auszuhalten. Eine halbe Stunde nach der Landung ahnte sie, was in nächster Zeit auf sie zukommen würde. Die Stadt war sehr heruntergekommen. Jahzara war geschockt. Im Flugzeug hatte sie noch gelesen, dass ein Sultan des früheren Mali-Reiches im 14. Jahrhundert bei einer legendären Pilgerreise nach Mekka angeblich von 60 000 Bediensteten begleitet worden war. Mansa Musa soll dabei zwei Tonnen Gold mit sich geführt haben. Nein, von diesem Glanz, das hatte sie schon auf der Fahrt in dem Gruppentaxi durch die Stadt geahnt, war nichts mehr vorhanden. Sand wehte durch die Gassen der vornehmlich aus Lehm erbauten Häuser. Überall ließen kleine Dünen vor und hinter den ärmlich wirkenden Gebäuden erahnen, dass die Wüste Timbuktu bald so verschlingen würde, wie sie es wohl einst mit der Karawane getan hatte. Grenzenlose Trostlosigkeit lag über der Stadt. Vergänglichkeit und Hoffnungslosigkeit hatten sich eingenistet.
Jahzara hatte im Campment ein Zimmer reserviert. Es war ein schlichter Steinbau mit noch schlichteren Zimmerverliesen, der am Rande der Stadt mit Blick auf Sandberge lag. Ein Besucher hatte ins Gästebuch geschrieben: »Nach einer irrsinnig strapaziösen, 24 Stunden dauernden Fahrt endlich in Timbuktu angekommen, wurde mein Kindheitstraum in nur wenigen Stunden zerstört: Bonjour tristesse!« Sie fürchtete sich ein wenig vor der Nacht in dem, was sich Hotel nannte, aber mehr einer Jugendherberge glich. Außer ihr übernachtete niemand hier. Strom gab es an diesem Tag nicht, was den nicht funktionierenden Deckenventilator erklärte. Es war stickig heiß und eng wie in einer Gefängniszelle. Sie wagte nicht, ihr Quartier für einen Spaziergang durch die Stadt zu verlassen. Die lüsternen Blicke der Männer am Flughafen, die eindeutigen Worte des Taxifahrers und die vor dem Hotel herumlungernden Tuareg in ihren blauen Gewändern und den schwarzen Gesichtsschleiern ließen sie erahnen, dass die Zeit bis zu Peters Ankunft am nächsten Tag zu einem Spießrutenlauf ausarten würde, wenn sie auch nur einen Fuß vor das Hotel setzte.
Schon in Bamako, der in Abgasen erstickenden Hauptstadt Malis, hatte sie kein gutes Gefühl gehabt, hatte sich als schwarze, allein reisende Frau permanent sehr direkten Offerten von Männern erwehren müssen. Das war am Flughafen ebenso gewesen wie im L’Amitié- Hotel , das glücklicherweise recht modern war und sehr hübsch am Niger lag. Dass Peter sie nicht, wie vereinbart, in diesem Hotel erwartete, hatte sie
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