Die verschollene Karawane
zurückhalten. Im letzten Verfassungsschutzbericht wurden die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. und ihr Initiator, der ägyptische Muslimbruder Dr. Said Ramadan, zwar erwähnt, aber die festgestellten Äußerungen der Mitglieder dieser Bruderschaft sind eher gemäßigt. Vertreter der Organisation weisen immer wieder darauf hin, dass man sich vom islamistischen Terrorismus distanziere und die Gesetze des Gastlandes zu beachten habe. Formell kann diesen Leuten nichts angelastet werden. Insofern müssen wir zunächst mal davon ausgehen, dass es Zufall ist, dass die Leute von Al Sakina Yvonne Steimer nur zwei Straßen weiter festhalten. Inwiefern es zwischen den beiden Derwischen und diesem islamischen Zentrum persönliche Kontakte gibt, weiß ich nicht. Doch das sollte uns derzeit auch weniger beschäftigen. Dafür ist die Sache zu brenzlig! Wenn das mal nur gut geht.«
Pietro starrte erneut auf die Wandkarte, auf der rote und gelbe Lämpchen den Standort der Fahrzeuge des mobilen Einsatzkommandos anzeigten. Alle hatten sich in sicherem Abstand zu einem Wohnobjekt ganz in der Nähe des islamischen Zentrums in der Wallnerstraße positioniert. Die MEK-Spezialeinheit hatte das Objekt umstellt und wartete auf den Befehl zuzugreifen. Die Kellerwohnung lag zur Gartenseite des Wohnblocks hin. Nachforschungen hatten ergeben, dass jedes der beiden Zimmer über ein kleines Fenster verfügte. Aus einer Wohnung im dritten Geschoss des gegenüberliegenden Wohnblocks ergab sich sogar ein recht akzeptables Schussfeld für Scharfschützen. Wer immer auch von den Entführern den Raum betrat, in dem Yvonne Steimer festgehalten wurde, musste von der Tür aus zwei Schritte am Kellerfenster entlanggehen. Genug Zeit für einen finalen Todesschuss, zumal sich zwei der Entführer derzeit außerhalb der Wohnung befanden. Sie fuhren durch die Innenstadt von München, standen jedoch unter Observation des MEK. Dennoch zögerte Hauptkommissar Fröbig, den Befehl zum Zugriff zu geben.
Commissario Toscanelli konnte seine Nervosität und seine Befürchtungen nicht mehr länger zurückhalten. »Kollege, tut mir leid, wenn ich das so offen sage, aber wir spielen mit dem Leben dieser Frau! Sie haben doch gehört, was dieses Schwein von Entführer eben in dem Telefonat mit Föllmer gesagt hat. Der vergewaltigt sie! Vielleicht wird sie von allen drei Entführern missbraucht. Die Scheißkerle haben doch nichts zu verlieren. Föllmer weiß jetzt, dass seine Freundin in der Hand dieser Leute ist. Er wird tun, was sie von ihm verlangen. Was bleibt ihm anderes übrig? Er ist doch offensichtlich selbst unter Kontrolle eines Mannes von Al Sakina da unten. Ich bin sicher, der Mann, der im Wagen von Föllmer und Jan-Zela sitzt, ist Sahib al Saif – der Racheengel, Statthalter des Schwertes – unser Hauptverdächtiger. Ein Auftragskiller! Dass der Typ jetzt auch noch unter dem Schutz des Gouverneurs von Timbuktu steht, macht die Dinge nicht leichter. Der legt Föllmer und Jan-Zela um, wenn er hat, was will. Und die drei Typen werden Yvonne Steimer niemals laufen lassen. Die haben sie nur für dieses Telefonat gebraucht. Ich habe ein schlechtes Gefühl. Das geht nicht gut! Die gesamte Operation läuft uns aus dem Ruder, wenn wir nicht schnell zugreifen.«
Hauptkommissar Fröbig hatte mittlerweile sein Jackett ausgezogen. In einer vertrauten Geste legte er eine Hand auf die Schulter seines italienischen Kollegen.
»Ich weiß, dass wir mit dem Feuer spielen. Es geht nicht anders. Wir müssen warten, bis die Entführer einen der beiden Derwische in Kairo anrufen. Sonst kriegen wir die Sufis nicht. Erst nach einem Anruf können wir einen Zusammenhang zwischen der Entführung und den Derwischen beweisen. Die ägyptischen Kollegen machen seit Tagen nichts anderes, als die beiden Sufis zu observieren. In dem Augenblick, in dem wir die Kollegen in Kairo anrufen und den Zugriff fordern, haben wir sie am Arsch! Ein Anruf von uns, und die Ägypter nehmen diese Ratten hops. Aber dafür müssen wir warten, bis die Entführer Kontakt mit ihren Auftraggebern aufnehmen. Danach dauert es nur Minuten, bis wir die Frau da rausholen. Lebend.«
Tausende Kilometer von München entfernt hatte Peter für Bruchteile von Sekunden unter dem Schock des Telefonats nicht aufgepasst. Der Geländewagen erfasste mit dem rechten Vorderrad eine kleine Wanderdüne und geriet ins Schleudern. Der tonnenschwere Land Cruiser entwickelte eine bedrohliche Eigendynamik. Die Last von
Weitere Kostenlose Bücher