Die verschollene Karawane
Salzplatten beladen. Die Reiter, Tuareg in blauen Gewändern, winkten. Sie mussten mittlerweile ungefähr 20 Kilometer von Timbuktu entfernt sein. Hier in der Nähe verlief die alte Karawanenroute nach Taoudenni, im äußersten Norden von Mali, wo seit Jahrhunderten Salz gewonnen wurde. Er dachte an den Korridor von Koordinaten, in dem sich die verlorene Karawane damals westwärts bewegt haben musste. Ein Funken Hoffnung machte sich in ihm breit. Wenn es einen Ausweg aus dieser Lage gab, dann waren es diese Koordinaten. Noch besaß nur er sie.
Aus dem Augenwinkel heraus sah er zu Jahzara. Sie wirkte apathisch, den Kopf gegen das Fenster gelehnt, in dumpfen Gedanken. Es war ein erbärmlicher Anblick. »Beschützen musst du mich«, hatte sie noch vor zwei Tagen scherzhaft zu ihm gesagt. Scheißkerle, elendige Scheißkerle! Widerstand gegen die vermeintliche Aussichtslosigkeit ihrer Situation wallte in ihm auf. Er hatte eine Idee, ja. Ob es funktionieren würde, wusste er nicht. Aber es war eine kleine Chance.
Das Klingeln des Handys erzeugte Unmut bei Abdul Qadir Dschila. Er war ohnehin den ganzen Tag über sehr gereizt gewesen. Die Luft in Kairo war kaum mehr dazu in der Lage, seiner alten Lunge Sauerstoff zuzuführen. Seit drei Tagen gab es in Heliopolis keinen Strom mehr. Zu allem Überfluss war vor wenigen Stunden auch noch der Generator ausgefallen. In seinem Haus war es stickig. Eigentlich hatte er fernsehen wollen. Aber aus den Nachrichten würde nun nichts mehr werden. Was, so dachte er sich, schert mich alten Mann noch, was irgendwo auf der Welt geschieht? Für ihn waren die Errungenschaften der Neuzeit – Fernsehen, Telefon, Handys und Flugzeuge – nur für kurze Zeit vom Reiz des Neuen und Fantastischen belegt gewesen. Seit es all diese technischen Spielzeuge gab, war sein Leben hektischer geworden. Was hatte es ihn früher interessiert, ob in Bagdad eine Bombe explodiert war? Was hatte er mit den Problemen eines Putins in Moskau oder des Bürgermeisters von New York zu tun gehabt? Nichts! Nachrichten, so war ihm längst bewusst geworden, waren in dieser Zeit meistens nur schlechte Nachrichten. Und die mochte er überhaupt nicht. Entsprechend missmutig nahm er das Gespräch an.
»Ja?«
Er erkannte die männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Diesen Anruf hatte er seit Stunden erwartet. Aufmerksam lauschte er. Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Sehr gut! Und unser Mann in der Wüste weiß Bescheid?«, fragte er.
In dem Moment ahnte der alte Sufi nicht, dass er mit dieser Frage eine der größten, weltweit angelegten Operationen der Abteilung Staatsschutz des deutschen Bundeskriminalamtes auslösen würde. Vertrauend auf seinen bislang nahezu ungetrübten mehrjährigen Aufenthalt in Ägypten, auf seine innige Freundschaft mit einigen honorigen ägyptischen Politikern und wissend, dass in Ägypten neben der Macht des Präsidenten noch die Macht des Glaubens an den Allmächtigen die Räder der Zeit langsam vorwärtstrieb, plauderte der Greis recht lange mit dem Anrufer aus München. Hämische Freude überlagerte schließlich seine Verärgerung über den Stromausfall und das grausame Wetter in Kairo. Endlich! Nun konnte eigentlich nichts mehr passieren. Alles lief wie geplant. Es war nur noch eine Frage der Zeit. So, als habe er nie in seinem Leben auch nur einer Fliege etwas zu Leide getan, redete er so unbefangen und fröhlich am Handy, dass ihn erst das laute Knattern eines Hubschraubers über seinem Haus aus seiner euphorischen Stimmung riss.
Was, zum Shaitani, fragte er sich, macht der Hubschrauber hier? Und warum fliegt er so niedrig? Dann hörte er seltsame Geräusche auf seinem Dach.
»Abdullah! Abdullah!«, rief er nach seinem Hausangestellten. Er war zu erschöpft, um selbst nachzuschauen, was da draußen vor sich ging. Abdullah antwortete nicht. Der Hubschrauber schien sich wieder zu entfernen.
Abdul Qadir Dschila setzte sich in einen Sessel. Er wollte soeben nach einem Buch greifen, als die Scheibe hinter ihm klirrend zerbarst. Glassplitter flogen in das Zimmer. Er glaubte, sein Herz würde stehen bleiben. Panisch drehte er sich im Sessel um. Die Männer, die durch das Fenster sprangen, trugen Maschinenpistolen. Dann flog die Tür zu seinem Salon aus den Angeln. Noch mehr Männer in Uniform, mit Waffen und verhüllten Gesichtern stürmten durch die Tür. Abdul Qadir Dschila griff sich an die Brust. Sein Herz schlug erst sehr schnell, setzte dann aus, schlug
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