Die verschollene Karawane
weitermachen müssen. Irgendwo müssen wir ansetzen. Vielleicht in Äthiopien. Dort suchte man den mystischen Priesterkönig Johannes ja auch. Und eins weiß ich, im Tanasee liegen viele Inseln, auf denen sich jahrhundertealte christliche Klöster befinden. Da oben liegt das legendäre Lalibela – auch Neu-Jerusalem genannt. Mit den weltberühmten Felsenkirchen. Nicht weit davon entfernt liegt Aksum, eine der mystischsten Städte Afrikas. Dort existierten einst mächtige Königreiche, christliche Reiche. Irgendwo dort, so vermute ich, brach vor vielen hundert Jahren eine Karawane auf Richtung Khartum, westwärts durch die Sahara bis nach Mali, in die Nähe von Timbuktu. Hunderte Tage Wüste, schroffe Gebirge, Trockenheit, Tod und Verderben. Wahnsinn! Die Frage ist, wer diese Leute waren, die diese eigentlich von Menschen kaum zu bewältigende Strecke quer durch die Sahara zurücklegten. Was transportierte diese Karawane? Und wo verschwand sie? Diese Karte ist laut Yvonne einem portugiesischen Buch entnommen worden. Die Portugiesen waren ja auch auf der Suche nach dem legendären Christenreich des Priesterkönigs Johannes. Es gab Abgesandte des portugiesischen Königs, die mit den damaligen Königen von Aksum und Lalibela verhandelten. Wenn portugiesische Seefahrer die Meere durchkreuzten, waren immer Spione des Papstes dabei. Einer von ihnen war ein Franziskaner. So wie die beiden Toten von San Francesco del Deserto. Glaubt ihr an solche Zufälle?«
Er schaute seine beide Freunde fragend an, erhielt aber keine Antwort.
»Sagt mal, kann einer von euch beiden Portugiesisch?«
Jens und Markus schüttelten verwundert den Kopf.
»Mist, das hatte ich befürchtet. Dann werde ich notgedrungen Yvonne bitten müssen, mit mir nach Lissabon zu fliegen. Dort finde ich wahrscheinlich Antworten auf viele Fragen.«
Zur gleichen Zeit, da Peter zusammen mit seinen Freunden Markus und Jens seine Wohnung in der Rosenheimer Straße verließ, um in einem nahegelegenen Restaurant essen zu gehen, stieg Jahzara am Flughafen von Lissabon in ein Taxi und wies den Fahrer an, sie zu ihrer Wohnung im Stadtteil Alfama zu fahren. Ängstlich drehte sie sich auf der viertelstündigen Fahrt in die Stadt mehrmals um und beobachtete die hinter ihnen fahrenden Autos. Nichts Auffallendes war zu sehen.
Das auf einem Hügel hoch über der Stadt thronende Castelo de São Jorge erstrahlte in gelblichem Flutlicht und hob sich romantisch gegen den sternenklaren Abendhimmel ab. Die Bruchsteinmauern des Kastells vermittelten ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Endlich wieder zuhause, in einem vertrauten Umfeld. Und doch war sie nervös. Der Tod von Charles Bahri hatte sie erschüttert. Das Gefühl, dieses dumpfe Bewusstsein, verfolgt zu werden, wollte einfach nicht weichen. Wovor hatte Charles Bahri Angst gehabt? Vor der katholischen Kirche? Vor dem Papst? Diese Dokumente waren brisant, würden weltweit für Aufregung sorgen. Aber deswegen war er bestimmt nicht umgebracht worden. Außerdem fragte sie sich, was diese Geschehnisse mit jenen Dingen zu tun hatten, die der Direktor des Museo Storico Navale von Venedig ihr erzählt hatte? Gänsehaut lief ihr über den Rücken, als sie sich an den Moment erinnerte, in dem sie in dem Schifffahrtsmuseum plötzlich diese Männerstimme hinter sich gehört hatte. Ihr Herz wäre beinahe stehen geblieben, solch panische Angst hatte sie gehabt. Der Araber! Das war ihr erster Gedanke gewesen. Jener dunkelhäutige Mann mit diesem seltsamen Mal auf der Stirn. Der, dessen Gegenwart sie noch immer zu spüren glaubte, obwohl sie ihn seit dem Zwischenfall auf dem Vaporetto nicht wiedergesehen hatte. Seit der Sache auf dem Boot fühlte sie sich verfolgt. Dabei hatte sich der Araber nicht einmal auffällig verhalten. Er hatte auf dem Vaporetto nahe der Kapitänskajüte gestanden und sich, ebenso wie alle anderen Passagiere, die prächtigen Paläste entlang des Canal Grande angeschaut. Nur einmal, für Bruchteile von Sekunden, hatten sich ihre Blicke gekreuzt. Sehr flüchtig, unbeabsichtigt. Und doch war da etwas in diesen Augen gewesen, das sie hatte erstarren lassen. Dieser Mann trug Böses in sich! Ein undefinierbarer, eiskalter, gefühlloser Blick war es gewesen. Sie kannte den Fremden nicht. Aber er kannte sie, das spürte sie. Ja, dieser Araber wollte etwas von ihr. So, wie der andere Mann auch.
Einen Augenblick lang musste sie an den gut aussehenden Mann denken, der sie auf dem Boot fotografiert hatte. Aufgefallen war er
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