Die verschollene Karawane
kennen.
»Nein, Peter, diesen Weg gibt es nicht! Meine Prinzessin hat sich in den Glauben geflüchtet. Sie brauchte den Glauben an Gott, um überleben zu können. Sie würde nichts in ihrem Leben tun, was nicht gottgegeben ist. Für sie wäre eine künstliche Befruchtung, das ist es ja wohl, was du andeuten wolltest, undenkbar. Als Ersatz hat sie sich zu diesem Studium entschlossen. Daraus erklärt sich auch ihr manchmal völlig überzogenes Interesse an den Geschehnissen damals mit den Portugiesen. Sie arbeitet wie eine Irre, verdrängt Realitäten und nährt ihre Kraft für die Zukunft aus der Vergangenheit. Sie ist fast fanatisch. Das ist Jahzaras Weg. Ich hingegen habe nach dem Tod meines Sohnes meinen Dienst bei der äthiopischen Regierung an den Nagel gehängt. Ich konnte nicht mehr damit leben, dass mein Sohn, mein einziger Sohn, für die absurde Idee von einem äthiopischen Sozialismus von sozialistischen Freiheitskämpfern erschossen wurde. Ich will mit Politik möglichst wenig zu tun haben. So, jetzt weißt du all das, Peter! Aber versprich mir, dass du es vertraulich behandelst. Jahzara mag dich sehr, aber sie hasst Eritrea. Sie braucht diesen Hass, um mit dem Verlust ihres Bruders und ihrer Weiblichkeit fertig zu werden. Es wäre bedauerlich, wenn eure Freundschaft an deiner und ihrer Vergangenheit zu Bruch gehen würde. Sie hat grenzenloses Vertrauen zu dir, Peter. Ich übrigens auch. So, und jetzt vergessen wir die Vergangenheit. Da kommt unsere Prinzessin wieder.«
Jahzara kam mit forschem Schritt die Treppe hinunter. Kaum hatte sie sich gesetzt, wandte sie sich an ihrem Vater und überreichte ihm ein Kuvert. »Das wurde vor einer halben Stunde an der Rezeption für dich hinterlegt.«
Seyoum öffnete den Umschlag und überflog die Zeilen. Ohne aufzuschauen, flüsterte er: »Sagt euch der Name Pater Benedikt von der Abtei Dormitio in Jerusalem was?«
Peters Puls raste plötzlich.
Jahzara hatte offensichtlich die gleichen Gedanken wie er. Sie starrte ihn fassungslos an.
Peter antwortete hektisch. »Ja! Dieser Mann hat vor langer Zeit aus unerklärlichen Gründen die Genehmigung bekommen, Einsicht in das Sion -Dossier zu nehmen. Pauline hat uns das erzählt. Warum?«
Jahzaras Blicke wechselten unruhig zwischen Peter und ihrem Vater hin und her. Peter sah die Angst in ihren Augen. Seyoum schien darauf bedacht, keine Ängste zu schüren. »Das ist der Mann, der heute Vormittag von einer Eliteeinheit festgenommen wurde. Er liegt im Krankenhaus. Er hat Glück gehabt und ist nicht sehr schwer verletzt. Nur ein Schulterschuss. Das ist die gute Nachricht!«
Jahzara schien kurz davor zu sein, hysterisch zu werden. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Sie atmete sehr schnell. Peter versuchte, ihre Hand zu nehmen, doch sie entzog sich seinem Griff.
Seyoum resümierte weiter: »Nun ja, das war die gute Nachricht. Er lebt! Er war nämlich unschuldig. Eine tragische Verwechslung. Eine Verkettung unglücklicher Umstände…«
Jahzara konnte sich nicht mehr beherrschen. Sie zischte ihren Vater flehend an: »Jetzt sag schon, was die schlechte Nachricht ist! Sag es, bitte!«
»Die schlechte Nachricht ist: Der Mann, den die Polizisten eigentlich festnehmen wollten, war bis heute Morgen in dem Zimmer direkt neben Pater Benedikt untergebracht. Es war ein Araber. Als Priester verkleidet! Er hat heute Morgen das Hotel verlassen. Nach ihm wird gefahndet. Der Pater aus Jerusalem wurde nur angeschossen, weil die Leute an der Rezeption die Zimmernummern versehentlich vertauscht hatten. Beide hatten sich als Priester eingetragen.«
Seyoum griff nach Jahzaras Hand. Sie zitterte und stierte gedankenversunken auf den Tisch.
Peter suchte nach Erklärungen. Wieso war dieser Pater aus Jerusalem hier? Und warum dann auch noch der Mörder von Charles, der wahrscheinlich identisch war mit dem Araber auf dem Vaporetto in Venedig. Hatte er hier auf sie gewartet? Jahzara unterbrach seine Gedanken. Kaum hörbar flüsterte sie: »Mein Laptop! Die Schweine haben meinen Laptop angezapft! Der Mann, der in meinem Haus in Lissabon angeschossen wurde, war in meiner Wohnung und hat den Laptop manipuliert! Nur so konnten sie wissen, dass wir hierherfliegen. Die Mails an dich, Vater! Die Mails haben uns verraten. Ein Killer hat hier auf uns gewartet! Ich halte das nicht mehr aus! Ich sterbe bald vor Angst.«
Seyoum gelang es kaum, seine Tochter zu beruhigen. Aufgewühlt und vorsichtig zugleich schaute er sich um. Der Russe nebenan
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