Die verschollene Karawane
schielte zu ihnen herüber. Die äthiopischen Offiziere taten so, als interessiere sie Jahzaras Schluchzen nicht. Seyoum überflog nochmals den Brief, der ihm offensichtlich von einem Vertrauten bei der ortsansässigen Polizei geschickt worden war.
»Da… da ist noch was«, stotterte er ein wenig. »Die Information kann man so oder so interpretieren. Versuchen wir es mal mit vorsichtigem Zweckoptimismus. Vor zwei Stunden wurde in einer Schlucht zwei Stunden von Bahir Dar entfernt in Fahrtrichtung Debre Markos ein völlig ausgebranntes Taxi gefunden. Der Fahrer war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Aber um seinen Hals fand man Reste eines Rosenkranzes. Er trug ein Priestergewand. Zudem konnten Rückstände eines ägyptischen Passes sichergestellt werden. Er scheint so, als habe der Araber ein Taxi geraubt und den Fahrer umgebracht. So wie es aussieht, ist er dann aber auf der Flucht verunglückt und verbrannt. Es gibt, so gesehen, zwei Möglichkeiten. Wenn es sich bei der Leiche in dem Fahrzeug um den Araber handelt, hat sich euer Problem von selbst erledigt. Wenn nicht, wenn es sich bei dem Toten um den Taxifahrer handelt, dann ist klar, dass der falsche Priester auf der Flucht ist. Der will mit Sicherheit auf dem Landweg nach Addis. Wie auch immer, er ist tot oder auf der Flucht! Die Gefahr ist vorbei. Also, Prinzessin, auch wenn ich verstehe, dass du mit den Nerven fix und fertig bist, Angst brauchst du jetzt nicht mehr zu haben. Da ist niemand mehr hier, der euch auflauert. Ihr könnt weitermachen! Morgen fahrt ihr zu den zwei Klöstern. Ich habe über Freunde einige Treffen arrangiert. Vielleicht ist ja auch dieser mysteriöse Pater aus Jerusalem bald vernehmungsfähig. Ich möchte doch zu gerne wissen, was der hier zu suchen hatte. Fahrt ihr jetzt erst mal zu den Klöstern.«
Kriminaloberrat Wilhelm Schumacher, Leiter der beim deutschen Bundeskriminalamt für islamistische Gewalttäter zuständigen Abteilung für Staatsschutz, überflog den Bericht seines Mitarbeiters. Er runzelte die Stirn und sah zu Hauptkommissar Gert Fröbig auf.
»Was wissen wir eigentlich über diese Gruppierung, diesen Al-Sakina-Orden? Klingt, mit Verlaub gesagt, ziemlich mysteriös, was Sie da geschrieben haben. Ich bin mir nicht mal sicher, ob diese Angelegenheit überhaupt in den Zuständigkeitsbereich des BKA fällt. Für mich liest sich das eher wie die Vorbereitung zu einer Entführung. Dann wären die Kollegen von den lokalen Dienststellen zuständig. Oder das Bayerische Landeskriminalamt. Wenn es aber, wie Sie hier andeuten, einen terroristischen Hintergrund gäbe, wäre es angebracht, das Bayerische Landesamt und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz zu informieren.«
Gert Fröbig hatte keine andere Reaktion seines Vorgesetzten erwartet. Sein Bericht war tatsächlich ziemlich vage formuliert. Aber die informelle Quelle, ein sehr vertrauenswürdiger arabischer Informant, hatte höchst brisante Hintergrundinformationen geliefert, die er in seinem offiziellen Bericht nicht hatte erwähnen wollen. Entsprechend selbstbewusst antwortete er: »Ich habe mich nur an die Dienstanweisung gehalten. Und die besagt, dass wir Informationen von V-Männern unter dem Aspekt des Quellenschutzes nicht in offiziellen Berichten, sondern nur in Form vertraulicher Vermerke für die Handakte niederschreiben sollen. Solche Informationen spielen hier eine bedeutende Rolle. Zumal sie von einer Quelle eines befreundeten arabischen Dienstes kommt: aus Ägypten. Aber ich denke, die Sache ist so brisant, dass Sie darüber Bescheid wissen sollten.«
Der Abteilungsleiter nickte. »Und diese Gruppierung Al Sakina? Was sind das für Leute? Lassen die sich zuordnen? Schiiten, Sunniten, Wahhabiten – al-Qaida? Was wollen die? Wer soll da entführt werden?«
Hauptkommissar Fröbig kannte die Ungeduld seines Chefs. Dessen Nähe zu politischen Entscheidungsträgern und zum Koordinator der Geheimdienste im Bundeskanzleramt hatte aus dem einst so erfolgreichen Kriminalbeamten der Abteilung Organisierte Kriminalität einen nur noch unter Opportunitätsprinzipien denkenden Schreibtischkriminalisten werden lassen. Gert Fröbig versuchte, überzeugend zu argumentieren: »Wir wissen, dass sich Al Sakina so genannter Racheengel, also Auftragsmörder, bedient, um ihre Ziele zu erreichen. Einer dieser Racheengel nennt sich unter anderem Sahib al Saif – Statthalter des Schwertes. Er hat seine blutigen Spuren in Venedig hinterlassen. Zwei Mönche wurden ermordet.
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