Die verschollene Karawane
Wir stehen in Kontakt mit dem zuständigen Commissario Toscanelli. Der ist sich sicher, dass die ominöse Entführung, die uns der Informant gemeldet hat, etwas mit den Geschehnissen der letzten Wochen zu tun. Da läuft ein großes Ding ab, Chef! Was es ist, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass dabei ein deutscher Staatsbürger namens Peter Föllmer eine Rolle spielt. Föllmer tauchte in Venedig als Zeuge auf. Und jetzt ist er in Äthiopien. Diesen Föllmer haben wir im NADlS-System. Beim BND und beim Bundesamt für Verfassungsschutz gibt es ebenfalls brisante Erkenntnisse über ihn. Der Mann war als Redakteur eines linken Szenenblattes mal sehr nahe am Kader der Roten-Armee-Fraktion dran. Und er hatte Kontakte zu anderen europäischen Linksterroristen. In Eritrea hielt er sich zusammen mit Topleuten der baskischen ETA in militärischen Ausbildungslagern marxistisch-leninistischer Freiheitskämpfer der EPLF auf. Das ist zwar alles schon länger her. Ich persönlich glaube aber nicht, dass es Zufall ist, dass Föllmer zur selben Zeit wie der Racheengel von Al Sakina in Äthiopien ist. Vielmehr vermute ich, dass diese ominöse Entführung in einem kausalen Zusammenhang mit islamistisch-terroristischen Aktivitäten und mit diesem Racheengel steht. Daher würde ich es für angebracht halten, wenn Sie BND und Verfassungsschutz um Amtshilfe ersuchen würden. Vielleicht erfahren wir über deren Kontakte im Ausland, wer da aus welchem Grund von Al Sakina entführt werden soll.«
Commissario Toscanelli wollte soeben zusammen mit Pietro das Büro verlassen, als über Interpol Lyon eine Nachricht aus Äthiopien kam. Er überflog die Zeilen des Innenministeriums aus Addis Abeba, nickte zufrieden und gab den Bericht dann seinem Kollegen.
Pietro las laut vor: »… in aller gebotenen Freundlichkeit dürfen wir uns nachträglich für Ihre Informationen über den vermutlichen Aufenthalt eines mutmaßlichen Mörders in Äthiopien bedanken. Nach dem Einsatz einer äthiopischen Sondereinheit in einem Hotel in Bahir Dar war es dem Tatverdächtigen zunächst gelungen, mit einem entwendeten Taxi Richtung Addis Abeba zu fliehen. Das Fahrzeug kam jedoch südlich von Bahir Dar von der Straße ab, stürzte in eine Schlucht und brannte völlig aus. Der Tatverdächtige, der sich als Priester verkleidet hatte, kam zu Tode. Erste Untersuchungen haben ergeben, dass es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den in Ihrer Mitteilung erwähnten Sahib al Saif handelte. Über weitere Ermittlungsergebnisse werden wir Sie unaufgefordert informieren.«
Commissario Toscanelli blickte seinen Assistenten fragend an. »Damit hat sich die Sache wohl erledigt, oder?«
Pietro überlegte nur kurz. »Hm, das war auch mein erster Gedanke. Aber wenn ich es mir genau überlege, würde ich den Kollegen in Addis Abeba doch lieber antworten, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einem Täuschungsmanöver aufgesessen sind. Dafür verwette ich ein Monatsgehalt!«
Commissario Toscanelli machte aus seiner Überraschung keinen Hehl. »Pietro, bei aller Wertschätzung für Ihren kriminalistischen Spürsinn. Aber was, bitte, bringt Sie auf die Idee, dass der Unfall nur ein Täuschungsmanöver war?«
»Intuition, Commissario! Ich bin eben der geborene Zielfahnder, ein perfekter Profiler. Diese Kakerlake, Chef, ist zwar bislang, wenn ich das richtig sehe, nicht sonderlich erfolgreich gewesen, aber er ist beharrlich. Wahrscheinlich, weil ihm seine Auftraggeber im Nacken sitzen. Der steht unter Erfolgszwang! Und er ist clever. Erinnern Sie sich noch? Als er von Venedig über Verona nach Deutschland flog, um letztendlich nach Äthiopien zu reisen? Wissen Sie noch, was ich damals sagte?«
»Nein, nicht wirklich. Was haben Sie gesagt?«
»Ich sagte, wer kommt schon auf die Idee, dass jemand, der nach Süden will, Richtung Norden flieht.«
Commissario Toscanelli griff nach der Meldung aus Äthiopien und überflog die Zeilen. »Sie meinen diesen Satz: ›Das Fahrzeug kam jedoch südlich von Bahir Dar von der Straße ab‹?«
Der Commissario schaute auf. Aber Pietro war bereits zum Schreibtisch gegangen und fuhr den Computer hoch. Nach wenigen Minuten murmelte er triumphierend: »Ein Hoch auf Google-Earth! Kommen Sie her, Commissario! Schauen Sie mal, das hier ist eine Landkarte von Äthiopien.«
Commissario Toscanelli ging um den Schreibtisch herum und blickte auf den Bildschirm. Der Cursor zeigte auf einen Fleck nahe einem
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