Die verschollene Symphonie
haben eine Beziehung zur Universität Wien. Ich hatte damit in letzter Zeit jedoch nichts zu schaffen. Und das bedeutete dass die einzige mögliche Verbindung zwischen uns Wagner sein musste.«
»Stimmt das?«, fragte Marisa Doktor Syntax. »Ist das der Grund, warum er hier ist?«
Der Direktor seufzte schwer. »Ja, ja. Warum soll ich es weiter abstreiten? Aber nicht direkt – er steht durch Liszt mit Wagner in Verbindung.«
»Ha!«, schnaubte Maddox. »Das zeigt, wie wenig Sie wissen.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Marisa. »Kannten Sie Wagner?«
»Nicht so gut, wie ich ihn hätte kennen sollen, fürchte ich. Aber ich kannte Wagners Mutter.«
»Was?«, rief Galen. »Sie können unmöglich so alt sein, dass Sie…«
»Ich bin zweitausend Jahre alt«, erwiderte Maddox und winkte ab. »Aber das spielt keine Rolle – jedenfalls nicht unmittelbar.« Er wandte sich wieder Marisa zu. »Jetzt kann ich Ihnen alles erzählen, denn mir wird langsam klar, was hier gespielt wird. Aber ich bin nicht sicher, ob ich mein Wissen mit Ihnen teilen sollte«, sagte er und blickte Galen an. »Denn ich will Ihnen nicht Ihre Geschichte verderben – ich habe sie so sehr genossen.«
»Was meinen Sie damit, meine Geschichte ›verderben‹?«
Maddox zwinkerte ihm zu. »Ich weiß, wie Wagner in den Besitz der Edda gelangt ist – oder genauer gesagt, woher Franz Liszt sie ihm beschafft hat. Ich weiß das, weil ich derjenige war, der Liszt den Hinweis gegeben hat, wo er das Buch finden könnte, und ich war auch derjenige, der ihn auf seiner Suche begleitet hat.«
»Warum hätte Liszt solche Mühe auf sich nehmen sollen?«
»Aus dem gleichen Grund wie ich: um dem gequälten Geist eines Mannes Ruhe zu schenken, den wir beide innig liebten – Richard Wagner.«
»Selbst wenn ich Ihnen glauben würde«, sagte Galen, »welchen Grund hätten Sie, sich so um Wagners Wohlergehen zu sorgen?«
»Weil«, sagte Maddox mit einem traurigen Lächeln, »ich sein Vater bin.«
KAPITEL SECHS
Die Sibylle
»Man hat nie eindeutig ermitteln können, wer Wagners wirklicher Vater war«, gab Galen zu. »Aber es galt als einigermaßen sicher, dass es der Polizeiaktuarius Friedrich Wagner gewesen ist, der Mann seiner Mutter. Auch wenn es Vermutungen gab, es könnte der Maler und Dichter Ludwig Geyer gewesen sein, den Wagners Mutter nach Friedrichs Tod geheiratet hat.«
»Das trifft es ganz gut«, sagte Maddox. »Auch wenn ich die Bezeichnung Schauspieler und Dichter vorgezogen habe denn von der Malerei habe ich nie besonders viel verstanden.«
»Sie sind Geyer?«, sagte Galen. »Das ist lächerlich.«
»Sagt der Mann, der bis vor kurzem noch glaubte, er sei Hagen«, gab Maddox zurück.
»Ein Punkt für Sie«, erwiderte Galen verdrossen. »Dennoch enthält ihre Argumentation einen Fehler. Geyer soll gestorben sein, noch bevor Wagner sieben Jahre alt war.«
»Nun, wie Sie sehen, bin ich nicht gestorben.«
»Das sagen Sie!«
»Was wissen Sie über Geyer?«, fragte Marisa Galen. »Hat erin irgendeiner Weise eine Rolle gespielt?«
»Er war nicht unbedeutend. Über den direkten Einfluss den er auf seinen Stiefsohn – oder Sohn, wenn Ihre Behauptung stimmt – ausgeübt hat, ist wenig bekannt. Er bemerkte schon sehr früh, dass der Junge künstlerisches Talent besaß, und wollte aus ihm einen Maler machen. Wagner war jedoch ein schwieriger Schüler.«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Maddox zu. »Er hat mit Vorliebe die Farben gegessen, und von dem Leinöl bekam er den schlimmsten Durchfall, den Sie sich vorstellen können.«
»Jedenfalls«, fuhr Galen fort und verzog angewidert das Gesicht, »übte der Junge auch kleine Melodien auf dem Klavier, und es heißt, dass Geyer dies eines Tages hörte und der Mutter vorschlug, sein Talent zu fördern.«
»In der Tat«, stimmte Maddox zu. »Nachdem ich sie verlassen hatte, erzählte sie ihm oft, ich hätte aus ihm etwas machen wollen.«
»Warum haben Sie sie verlassen?«, fragte Marisa.
Maddox machte eine unverbindliche Geste. »Ich war hinter der Frau her. So herzlos das auch klingen mag – über das Kind habe ich mir keine großen Gedanken gemacht.«
»Das ist ziemlich kaltblütig.«
Maddox zuckte mit den Achseln. »Jeder Mensch, den ich kennen lerne, stirbt innerhalb weniger Jahrzehnte, oder spätestens nach einem Jahrhundert. Ich habe hundert Generationen durchlebt. Die einzigen Menschen, die mich wirklich interessieren, sind jene, die ebenso alt sind wie ich.«
»Aber wie war das
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