Die verschollene Symphonie
konnte in der Zeit zurückreisen.«
»Es klingt verrückt, ich weiß«, sagte Galen, »aber lassen Sie mich ausreden. Es muss das gleiche Buch sein, weil Das Buch des Alberich nicht zum Haupttext der Ur-Edda gehörte«, fuhr er fort. »Es ist nämlich ein Palimpsest gewesen, ein Text, der sich unter einem anderen Text verbirgt und nur durch bestimmte Hilfsmittel sichtbar wird. Wenn das Buch, das Wagner besessen hat, wirklich diesen Titel trug, dann muss es dasselbe gewesen sein.«
»Woher stammen dann die Anmerkungen im Original?«, fragte Marisa.
»Juda«, sagte Galen. »Das würde erklären, warum es ihn nicht überrascht hat, dass meine Nachforschungen über Wagner in eine Sackgasse geraten waren.«
»Er hat Sie die ganze Zeit über belogen.«
»Das würde ihm ähnlich sehen.«
»Was ist passiert, nachdem Sie ihm erzählt hatten, dass Sie mit Ihren Nachforschungen nicht mehr weiterkamen?«
»Zu diesem Zeitpunkt waren meine Forschungen vollkommen unabhängig von Langbeins Arbeit. Er war tief in seine eigene Welt versunken und wir hatten nur wenig Kontakt miteinander. Ich hatte mich gerade auf den Weg gemacht, um ihm von meinen fruchtlosen Ermittlungen zu berichten, als Juda mich abfing und mir von einem weiteren unglaublichen Fund erzählte. Obwohl Juda behauptet hatte, noch mehr alte Manuskripte in Meru gesehen zu haben, hielten wir die Ur-Edda für eine einmalige Entdeckung. Dass wir uns geirrt hatten, wurde mir klar, als Juda mir den zweiten Band zeigte.«
»Ein zweites Manuskript?«, fragte Marisa. »Eine weitere Edda?«
»Nicht ganz«, sagte Galen. »Es ging um ein anderes Thema, dessen kultureller Ursprung leichter zu ermitteln ist als der der Edda – ›Die Erlkönige‹.«
»Das könnte eines der Bücher sein, von denen Stiefelchen mir erzählt hat«, sagte Maddox, »auch wenn ich sie nie zu Gesicht bekommen habe. Madam Blavatsky hat sie uns natürlich nicht gezeigt.«
»Es wird noch interessanter«, sagte Galen. »Denn dieses Buch enthielt ebenfalls Anmerkungen, die in der deutschen Sprache des 19. Jahrhunderts verfasst waren.«
»Erstaunlich«, sagte Marisa. »War es Wagner oder Liszt oder beide, so wie in dem anderen Buch?«
»Keiner von beiden«, erwiderte Galen. »Die Anmerkungen stammten von Franz Schubert.«
KAPITEL SIEBEN
Die Hellseherin
»Das ist ja wirklich eine interessante Verbindung«, sagte Maddox. »Immerhin trägt eine der berühmtesten Kompositionen Schuberts den Titel Der Erlkönig.«
»Mir fällt da noch eine weitere Verbindung ein«, sagte Marisa mit einem düsteren Gesichtsausdruck. »Als die drei Professoren – die Magier – durchgedreht sind, haben sie zwei Sätze wieder und wieder an die Wände ihres Zimmers geschrieben: ›Der Erlkönig ist tot. Lang lebe der Erlkönig.‹«
»Langsam nimmt das Bild Formen an«, sagte Galen. »Juda hat viel von den Erlkönigen erzählt, während wir in dem Buch gelesen haben. Er glaubte entdeckt zu haben, dass an bestimmten Punkten in der Geschichte – Wendepunkte, die er ›Umkehrungen‹ nannte – die Erde von einem dieser Erlkönige regiert wird.«
»Woran erkennt man, dass jemand ein Erlkönig ist?«, fragte Marisa.
»Das habe ich nie wirklich verstanden«, erwiderte Galen. »Juda hat mit den Details immer hinterm Berg gehalten – ich nehme an, auf diese Weise wollte er die Kontrolle über die Ereignisse behalten. Dennoch ist ihm in einem unserer Gespräche einmal ein Schnitzer unterlaufen. Er erwähnte zwei Namen von mutmaßlichen Erlkönigen: ein Mann in Amerika namens Wasily…«
»Ah…«, sagte Doktor Syntax und wandte sich an Maddox. »Ihr Freund Stiefelchen.«
»Anscheinend. Diesen Namen hat er direkt nach der Trennung von Madam Blavatsky angenommen. Wie lautete der zweite Name?«
»Jemand, um den er ein großes Geheimnis machte. Ich habe nur einmal gehört, wie er den Namen aussprach, und er schien… zögerlich. Nicht ängstlich, aber vorsichtig. Er nannte diesen mutmaßlichen Erlkönig ›Sataere‹.«
»Das passt«, sagte Maddox. »Ich wusste, dass unser Gespräch etwas Derartiges zu Tage fördern würde. Jetzt werden sie mich niemals entlassen.«
Galen blickte Marisa fragend an und sie nickte, während Maddox sich mit einem schweren Seufzer in einen Stuhl sinken ließ. Er holte tief Luft und runzelte dann die Stirn.
»Was ist?«, fragte Marisa. »Es ist Saturn, nicht wahr? Sie denken an Saturn.«
Maddox zögerte einen Augenblick. »Ja.«
»Weshalb glauben Sie, dass es sich um dieselbe Person
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