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Die verschollene Symphonie

Die verschollene Symphonie

Titel: Die verschollene Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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konzentrierte sich. Dann begann er zu rezitieren:
     
    »Am Nachmittage heimkehrend, streckte ich mich todmüde auf ein hartes Ruhebett aus, um die lang ersehnte Stunde des Schlafes zu erwarten. Sie erschien nicht; dafür sank ich in eine Art von somnambulem Zustand, in welchem ich plötzlich die Empfindung, als ob ich in ein stark fließendes Wasser versänke, erhielt. Das Rauschen desselben stellte sich mir bald im musikalischen Klange des Es-Dur-Akkordes dar, welcher unaufhörlich in figurierter Brechung dahinwogte; diese Brechungen zeigten sich als melodische Figurationen von zunehmender Bewegung, nie aber veränderte sich der reine Dreiklang von Es-Dur, welcher durch seine Andauer dem Elemente, darin ich versank, eine unendliche Bedeutung geben zu wollen schien. Mit der Empfindung, als ob die Wogen jetzt hoch über mich dahinbrausten, erwachte ich in jähem Schreck aus meinem Halbschlaf. Sogleich erkannte ich, dass das Orchestervorspiel zum ›Rheingold‹, wie ich es in mir herumtrug, doch aber nicht genau hatte finden können, mir aufgegangen war; und schnell begriff ich auch, welche Bewandtnis es durchaus mit mir habe: Nicht von außen, sondern nur von innen sollte der Lebensstrom mir zufließen.«
     
    Maddox öffnete die Augen wieder und streckte sich. »Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Offenbarung. Und, wie Liszt glaubte, eine göttliche.«
    »Warum?«, fragte Marisa.
    »Weil Wagner derselben Ansicht war«, sagte Maddox und zitierte noch einmal:
     
    »Ich glaube an Gott, Mozart und Beethoven, in gleichem an ihre Jünger und Apostel; – ich glaube an den Heiligen Geist und an die Wahrheit der einen unteilbaren Kunst; – ich glaube, dass diese Kunst von Gott ausgeht und in den Herzen aller erleuchteten Menschen lebt; – ich glaube, dass wer nur einmal in den erhabenen Genüssen dieser hohen Kunst schwelgte, für ewig Ihr ergeben sein muss und Sie nie verleugnen kann; – ich glaube, dass alle durch diese Kunst selig werden…«
     
    »Besonders bei der Erwähnung jener ›Sie‹ wurde Liszt hellhörig.«
    »Was ist an einer Bemerkung über die Kunst so ungewöhnlich?«, fragte Marisa.
    »Er hat nicht über Kunst geredet, sondern über Gott.«
    »Eine weibliche Gottheit?«
    »Ja. Liszt glaubte, dass Wagner sich in gewissem Maße bewusst war, dass seine Fähigkeiten nicht allein mit einer außergewöhnlichen Begabung zu erklären waren. Und als wir nach einer langen und beschwerlichen Reise an unserem Ziel ankamen, entdeckten wir die Verbindung, die alles ins rechte Licht rückte: sein Talent, seine Erfindungsgabe, seine Leidenschaft – und deren möglichen göttlichen Ursprung.«
    »Was für eine Verbindung war das?«
    »Madam Blavatsky wusste, dass wir auf der Suche nach ihr waren – obwohl dies nicht in den Prophezeiungen der Bücher enthalten war. Wir nahmen zunächst an, dass sie auf irgendeine Weise Kontakt mit Stiefelchen aufgenommen hatte. Sie erzählte uns jedoch, dass ihr unsere Ankunft von einer Frau prophezeit worden war, die sie erst vor kurzem kennen gelernt hatte. Die Frau, von der sie sprach, war ihr kurz nach ihrem Eintreffen in Indien begegnet. Sie hatte sich nur als ›Z‹ vorgestellt und behauptet, eine Einsiedlerin von einem Ort namens Meru in Tibet zu sein. Darüber hinaus bezeichnete sie sich als Prophetin – eine der sagenumwobenen Nornen des germanischen Mythos.«
    »Die gleiche Z, von der Juda uns erzählt hat«, rief Galen. »Unglaublich.«
    »In der Tat. Madam Blavatsky hat ihr offenbar geglaubt oder jedenfalls angenommen, sie sei eine Spezialistin für übersinnliche Phänomene, so wie sie selbst – oder jemand, der vorgab, dies zu sein. Zs Behauptung, dass sie von den alten Büchern wisse, die Blavatsky besaß und für ihre Kunst verwendete, mochte diese Annahme bestärkt haben. Blavatsky erzählte uns, Z habe sie darum gebeten, uns bei unserer Ankunft die Edda zu überlassen. Über Z selbst und ihre Bitte sollte sie jedoch Stillschweigen bewahren. Weil sie sich aber nicht gern von anderen etwas vorschreiben ließ, beschloss sie, uns alles zu erzählen – einschließlich der Tatsache, dass Z noch am selben Nachmittag ein Schiff in Richtung London besteigen würde. Liszt und ich glaubten, dass sie uns einige unserer Fragen beantworten könnte. Wir eilten also zum Hafen… und kamen um wenige Sekunden zu spät. Es gelang uns aber dennoch, einen Blick auf die geheimnisvolle Z zu werfen und unseren Verdacht über Wagners göttliche Abstammung zu bestätigen. Jene

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