Die verschollene Symphonie
gefragt, was die Beziehung noch enger machen könnte, damit es sich bei dem Doppelgänger nicht um einen Zwilling, einen Klon oder eine tulpa handelt, sondern tatsächlich um ein zweites Ich, so wie die Doppelnatur von Schrödingers Katze, gleichzeitig und identisch.«
»Nun, abgesehen davon, dass eine von beiden tot ist«, sagte Galen barsch.
»Nein«, rief Juda begeistert und seine Augen leuchteten. »Gerade weil eine von beiden tot ist! Wenn ich es nun darauf angelegt hätte, dass am Ende des Experiments nicht die tote, sondern die lebende Katze übrig bliebe? Könnte ich nicht Einfluss auf den Quantenzustand nehmen, in dem beide Katzen existierten, und die lebende Katze von dort in die Wirklichkeit holen?«
»Aber«, sagte Marisa, »beide Katzen existieren nur so lange, bis sie einem Betrachter ausgesetzt sind. Erst dann kann man feststellen, ob die Katze lebendig oder tot ist.«
»Nicht wenn eine von beiden eine tulpa ist.«
»Welche?«
»Das spielt keine Rolle, denn es handelt sich ja um ein- und dieselbe Katze, verstehen Sie? Und wenn man das Experiment in dem Augenblick durchführt, wenn beide Katzen als Möglichkeiten wirklich existieren, dann kann der Betrachter den Zustand, in dem sich die Katze befinden soll, beeinflussen. Indem er nämlich die übrig gebliebene Katze mit den Eigenschaften einer tulpa ausstattet, die er geschaffen hat, und sie auf diese Weise lebendig macht.«
»Ich glaube, Sie verlieren die Grenzen der Physik aus den Augen«, sagte Marisa. »Meiner Meinung nach ist das Ganze kaum mehr als eine neue Wendung in einer nicht beweisbaren Theorie.«
»Wirklich?«, sagte Juda. »Würden Sie Ihre Meinung ändern, wenn ich Ihnen sage, dass nur ein Teil der Katze wirklich tot ist?«
Marisa zögerte. »Wie meinen Sie das?«
»Sagen wir einmal, die Katze in dem Experiment hätte irgendwann in ihrem Leben ein Bein verloren, und die erzeugte tulpa wäre eine vollkommen gesunde Katze. Hätte die Katze, die aus der Kiste herauskommt, drei Beine oder vier?«
Marisa Kapelson wurde blass und Juda fuhr fort.
»Wenn der Betrachter über den Zustand der Katze entscheidet, die aus der Kiste herauskommt, und es sich bei den zwei Zuständen nicht um Leben oder Tod, sondern um einen gesunden Körper oder einen mit einem fehlenden Bein handelt, dann wäre es im Quantenbereich möglich, die Katze wieder mit vier gesunden Beinen auszustatten.«
»Aber bei dem Bein handelt es sich trotzdem nur um eine tulpa, richtig?«, fragte Galen und warf Marisa einen besorgten Blick zu – sie zitterte am ganzen Körper. »Es würde mit der Zeit oder bei nachlassender Konzentration verschwinden oder sich möglicherweise verändern, so wie As Mönch.«
»Nein«, sagte Juda ruhig. »Das würde es nicht, denn bei der tulpa handelt es sich ja um eine Kopie des Originals – sei es einer Katze oder eines Menschen –, die in genau jenem Quantenmoment geschaffen wird, in dem beide Zustände existieren. Die Kopie ist mit dem Original identisch, und lediglich die Bestimmung des Zustandes, in dem sie weiter existieren soll, ist von der Willenskraft abhängig.«
Marisa sah ihn mit tränenerfüllten Augen an und rieb unbewusst die Stelle an ihrer Hüfte, an der ihr Bein mit dem restlichen Körper verbunden war.
»Es wird sich nicht verändern? Es wird nicht eines Tages verschwinden?«
»Noch viel besser«, sagte Juda. »In dem Quantenzustand, in dem Sie existieren, ist es niemals fort gewesen.«
»Aber wie können Sie den richtigen Quantenmoment herausfinden, um das möglich zu machen?«, fragte Galen.
»Nichts leichter als das«, sagte Juda. »Prophezeiung. Ich habe den entscheidenden Augenblick vorhergesehen, in dem ihr Glaube daran, dass das Bein wirklich sei, die Oberhand gewonnen hat. An diesem Punkt setzte ihr Wille ein und tat das seine dazu.«
»Prophezeiung?«, fragte Galen. »Was hat das mit all dem zu tun? Und wie hängt das Ganze mit mir zusammen, oder mit Wagner, Hagen oder Michael Langbein? Und warum sind Sie hier und erzählen uns das alles?«
»Ich bin hier, weil es meine Bestimmung ist«, sagte Juda. »Fragen Sie doch einfach unseren langlebigen Freund, den Ewigen Juden. Das und alles andere ist sozusagen Teil der Prophezeiung. Und wie Sie alle bezeugen können, werden Prophezeiungen manchmal Wirklichkeit.«
»Es ist nicht witzig«, sagte Maddox, »aber er hat wahrscheinlich Recht.«
»Tatsächlich«, erwiderte Marisa mit einem Hauch von Sarkasmus in der Stimme. »Und wer hat denn prophezeit, dass Sie
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