Die verschollene Symphonie
Symphonie, die in den Einzelheiten ebenfalls stimmte, wurden in der Symphonie vereint, die Bruckner geschaffen hat. Und das war genau das Dokument, das ich brauchte. Daraus gewann ich die letzten Grundlagen und Berechnungen, mit deren Hilfe ich das erste Modell der Anabasis-Maschine gebaut habe.«
»Sie haben dieses Gerät mit Hilfe einer Symphonie gebaut?«, sagte Maddox. »Wie kann ein hundert Jahre altes Musikstück Anhaltspunkte dafür liefern, wie man die Zeit manipuliert? Schließlich enthielt es keine Bauanleitung, oder?«
»Durch die Metapher«, sagte Juda. »In der Literatur bezieht sich eine Metapher nur auf die Kultur, in der sie geschaffen wurde. Eine Metapher, die im Englischen funktioniert, hat im Deutschen vielleicht keine Bedeutung und umgekehrt.«
»Warum nicht?«, fragte Galen. »Eine Metapher ist eine Metapher. Und sie sollte es auch nach der Übersetzung bleiben.«
»Sicher. Aber eine Übersetzung kann nur geschehen, wenn beide Sprachen bekannt sind.«
»Wie ist es mit der Kunst?«, fragte Marisa. »Funktioniert es in der Malerei besser als bei sprachlichen Metaphern?«
Juda schüttelte den Kopf. »Die Kunst ist zu statisch, und ihre Elemente werden ständig in einer anderen Reihenfolge interpretiert. Damit die Metapher funktioniert, muss sie genau wiedergegeben werden. Nur dann können die Korrelationen wirksam sein.«
»Es bleibt also nur die Musik«, sagte Galen. »Musik als Metapher.«
»Sie sind nahe genug an der Zigarre, um den Rauch zu riechen«, sagte Juda. »Musik ohne Worte ist das Medium, mit dessen Hilfe die Metapher übersetzt werden kann.«
»Bruckners instrumentale Symphonien«, sagte Marisa. »Das war es, was Wagner falsch gemacht hat. Er blieb in seiner Oper zu nahe am Wort und versuchte die Geschichte in zu vielen Ausdrucksmitteln gleichzeitig zu erzählen.«
»Die Dame gewinnt eine kubanische Zigarre«, sagte Juda. »Er hat die darstellenden Künste, Sprache und Musik benutzt, obwohl die Musik allein schon ausreichend gewesen wäre. Zumindest hätte sie genügt, wenn es ihm gelungen wäre, das Werk zu vollenden. Schubert verfügte über die richtigen Methoden, jedoch nicht über genügend Weitsicht, um die Größe des Werkes zu erkennen. Bruckner besaß die nötige Hingabe und das Talent – und ihm ist es schließlich gelungen.«
»Aber warum Musik?«, fragte Galen. »Was erhebt die Musik über andere Medien?«
»Nun, mein zunehmend begriffsstutziger Freund«, erwiderte Juda, »von allen Künsten kann nur die Musik in Mathematik übersetzt werden, und Mathematik ist die Sprache der Schöpfung. Mit der richtigen Übersetzung war ich in der Lage, die Töne von Bruckners Symphonie in mathematische Gleichungen umzuwandeln, deren visuelles Abbild ein Ring ist. Als mir die zeitlichen Endpunkte dieses Rings – oder dieser Zeitschlaufe – bekannt waren, konnte ich daraus die restlichen Prinzipien der Welle ableiten, mit deren Hilfe ich andere Zeitschlaufen aufspüren und überwachen konnte. Damit hat alles angefangen. Als ich die gegenwärtige Zeitschlaufe bestimmt hatte, stellte ich fest, dass sich mir die Gelegenheit bot, eine Umkehrung zu beeinflussen. Ich machte mich also daran, die Welle der Vergangenheit so fest zu verankern wie nur möglich, indem ich in der Gegenwart jemanden mit dieser Welle in Einklang brachte, um ihn dann mit seinem Gegenstück aus der Vergangenheit zu verschmelzen.«
»Aber wozu der ganze Aufwand?«, fragte Maddox. »Und warum jemand so Bedeutenden wie Galen? Hätten Sie ihn und Langbein nicht einfach für Ihre Forschungen benutzen und dann irgendeinen Obdachlosen für die Verankerung ihrer Welle auswählen können?«
»Ich wünschte, es wäre so einfach«, sagte Juda. »Aber das war es nicht. Die entsprechenden Personen mussten genauso sorgfältig ausgewählt werden wie der Umkehrungspunkt. Und die Symphonie selbst lieferte Informationen darüber, wer diese Personen sein sollten.«
»Die Erlkönige«, sagte Maddox. »Die Erlkönige sind es, die die Manipulation einer Umkehrung möglich machen.«
»Richtig«, sagte Juda. »So kann nur ein Mann reden, der selbst eine Umkehrung und die Opferung eines Erlkönigs erlebt hat.«
Maddox hob fragend eine Augenbraue, bevor ihm klar wurde, was die Worte des Mathematikers bedeuteten. »Sie meinen doch nicht etwa…?«
Juda neigte den Kopf zur Seite und blickte den Mann argwöhnisch an. »Verdammt. Ich dachte, Sie wüssten davon.«
»Ich hatte keine Ahnung. Ich habe ihn bislang lediglich für den
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