Die Verschollenen
worden. Ihre teuren, ehemals perfekten künstlichen Brüste waren voller tiefer Schnitte und Kratzer, von denen Narben zurückbleiben würden, die kein Schönheitschirurg kaschieren konnte. Unterleib und Oberschenkel waren ähnlich zugerichtet. Ihre Lippen waren aufgesprungen. Einige Fingernägel fehlten. Sie hatten ihr ein dickes Haarbüschel ausgerissen, an dessen Stelle nun eine rote, nässende Wunde zu sehen war. Eines ihrer Augen war komplett zugeschwollen. Das andere war von Blutergüssen umrahmt. Ihre Arme und Beine waren ebenfalls mit blauen Flecken übersät - ein schrecklicher Regenbogen aus fahlem Gelb, Rot, Schwarz und Lila. Als Becka die Verletzungen zwischen Paulines Beinen sah, schauderte sie und begann zu weinen.
»Oh … Pauline, kannst du mich hören?«
Sie strich Pauline über das Haar, woraufhin die Frau blinzelnd die Augen öffnete.
»B-Becka?«
»Ja, ich bin’s. Versuch nicht zu sprechen, okay? Wir müssen leise sein.«
Pauline nickte verstehend. Die Bewegung ließ sie leise aufstöhnen. Sie schloss wieder die Augen.
»Wie schlimm sind die Schmerzen?«, fragte Becka.
»Ziemlich … ziemlich schlimm. Sie …«
»Ich weiß. Du musst es nicht aussprechen. Ich weiß, was passiert ist. Mit Shonette und mir haben sie das Gleiche gemacht.«
»Shonette lebt?«
»Ja, sie ist direkt nebenan. Wir werden fliehen und Hilfe holen. Jetzt wird alles wieder gut.«
Obwohl es ihr offenbar Schmerzen bereitete, schüttelte Pauline den Kopf. »Nein, wird es nicht. Es wird nie wieder irgendwas gut werden.«
»Doch, wird es. Wir werden das durchstehen. Du wirst schon sehen.«
»Nein, Becka, du verstehst nicht.«
Sie leckte sich über die aufgesprungenen, blutenden Lippen, bevor sie fortfuhr: »Als ich in meinem Abschlussjahr auf der High School war, hat der Kerl, mit dem ich zum Abschlussball gegangen bin … er hat mich vergewaltigt. Ich habe mir damals geschworen, dass mir so etwas nie wieder passieren wird, aber jetzt ist es passiert. Es war damals
schon schlimm. Aber das hier war schlimmer. Sie sind nicht … menschlich.«
Sie schluchzte leise und legte den Kopf in Beckas Schoß. Becka hielt sie fest, flüsterte tröstende Worte und versuchte, sowohl den körperlichen als auch den seelischen Schmerz zu lindern, auch wenn sie eigentlich nichts für sie tun konnte. Schließlich schloss Becka die Augen und lehnte sich gegen die Wand. Plötzlich war sie völlig erschöpft. Sie blieben lange so sitzen, während unaufhörlich die animalischen Geräusche des Gelages von unten heraufdrangen.
»Hast du die Statue gesehen?«, fragte Pauline schließlich.
Becka öffnete die Augen. »Welche Statue?«
»Da drüben, in der Ecke. Es ist eine kleine Steinstatue von einem von diesen Dingern. Ich habe auch noch ein Stück von einer anderen gefunden. Die hatte den Kopf eines Tintenfischs, aber einen menschlichen Körper. War zerbrochen.«
Becka schaute in die Richtung, die Pauline ihr gezeigt hatte. Tatsächlich stand dort ein kleines, steinernes Ebenbild eines ihrer Entführer. Es war ungefähr dreißig Zentimeter hoch, und auch wenn es primitiv gearbeitet war, war es detailliert und zeugte von einer gewissen Handwerkskunst. Der Stein war so bearbeitet worden, dass man das Fell erkennen konnte, und sogar der ausgeprägte Unterkiefer war zu sehen. Konnte es sein, dass eines der Stammesmitglieder das gemacht hatte? Das schien unmöglich.
Die Kreaturen, die sie angegriffen hatten, waren zwar intelligent, schienen aber mehr Tier als Mensch zu sein.
Sie lehnte sich zurück und schloss erneut die Augen, während sie über die Herkunft der Statue nachdachte. Vielleicht hatte eine frühere Generation der Kreaturen sie angefertigt, und vielleicht waren diese Fähigkeiten unter den heutigen Stammesmitgliedern verloren gegangen. Vielleicht entwickelten sie sich nicht weiter, sondern zurück.
»Pssst.«
Ruckartig riss Becka die Augen auf, und Pauline bewegte sich vorsichtig. Beide schauten zum Eingang. Shonette starrte zu ihnen hinein.
»Was zur Hölle dauert hier so lange?«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Becka. »Pauline geht es ziemlich schlecht. Sie hat eine Menge durchgemacht.«
»Das haben wir alle«, erwiderte Shonette, die beinahe wie ihr früheres Selbst klang. »Aber wie du schon sagtest: Wenn wir nicht wieder zum Opfer werden wollen, müssen wir verschwinden.«
»Komm schon«, wandte sich Becka drängend an Pauline, »versuch aufzustehen.«
»Ich kann nicht«, flüsterte Pauline.
»Hast du dir was
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